Die 70. Ausgabe des belgischen Langstreckenklassikers schickt sich an, eines der denkwürdigsten Rennen der über 90-jährigen Geschichte zu werden. Beeindruckende 13 Marken – ein Rekordwert der GT3-Ära – befinden sich in der Nennliste und ein Großteil davon greift nach Gesamtsiegerehren. Trotz dieser herausragenden Ausgangsbasis wird das Highlight der Blancpain GT Series nicht die Aufmerksamkeit erfahren, die es eigentlich verdient hätte – Wie schade! Eine Lobeshymne auf einen oft übersehenen Fixpunkt der Motorsportsaison:
Etwas über einen Monat ist es her, als sich John Hindhaugh in Rage geredet hat. Genervt vom stagnierenden Verlauf der 24 Stunden von Le Mans holte er zum großen Rundumschlag gegen die „Überregulierung“ des Motorsports aus und teilte unter anderem auch hart gegen das belgische Pendant aus. Die 24 Stunden von Spa würden schlicht keinen Spaß (mehr) machen. Während er bei einigen Aspekten durchaus richtig lag, bewies er jedoch auch, dass er sich schon länger nicht mehr mit dem Prinzip SRO-Motorsport auseinandergesetzt hat. Ein gefährlicher Fehler!
Die Entwicklung
Bevor die Stéphane Ratel Organisation im Jahre 2001 zum ersten Mal ihre Zelte in Spa aufschlug, ist das Rennen ein ziemliches Stückwerk gewesen. Mal galten die Ausgaben als größere Höhepunkte der Tourenwagenszene (v.a. in den Jahren der Europameisterschaft), mal waren es stark regional geprägte Veranstaltungen und mal fielen die Rennen über Jahre hinweg auch einfach aus (z.B. 1954-1963). Mit der GT-isierung zu Beginn des neuen Millenniums stabilisierte sich das Event jedoch zusehend und erlebte einen großen Aufschwung. So avancierten die Spa24h erst zum Herz der GT-Langstreckenszene und später zu einer Säule des weltweiten GT3-Booms. Um diesem Status gerecht zu werden, baute die SRO sogar eine eigene Meisterschaft in der Form der Intercontinental GT Challenge um Spa herum auf, welche sich in ihrer dritten Saison befindet. Neben den 24 Stunden gehören die 12 Stunden von Bathurst, die neu geschaffenen 10 Stunden von Suzuka (im Rahmen des historischen „Summer Endurance“ der japanischen Strecke) und die 8 Stunden von Laguna Seca zum diesjährigen Kalender.
Der Charakter
Das viele Hin und Her und der noch verhältnismäßig junge Ruf als GT-Mekka sorgten dafür, dass das Rennen zwar schon im kollektiven Bewusstsein der Motorsportfans verankert ist, aber noch meilenweit vom Ruf eines Grand Prix d’Endurance les 24 Heures du Mans entfernt ist. Obwohl es nur ein Jahr später (1924) als Antwort des Royal Automobile Club Belgium darauf ins Leben gerufen wurde.
Es ist zwar mehr als unwahrscheinlich, dass der wallonische Ausdauerlauf jemals in die Sphären der französischen Legende vordringen wird, doch die Spa24h schaffen es nachweislich, nötige Nischen zu besetzen. Neben einem Slot inmitten des europäischen Sommers sowie nach den wichtigsten 24-Stunden-Rennen der Welt besticht Spa durch eine Mischung aus extrem engem Sport, einer herausragenden Strecke und dem begeisterndsten sowie erfolgreichsten Konzept im GT-Bereich.
Selbst die bitterlich kritisierten „Schwächen“, wie das Prinzip der Balance of Performance oder die reglementierten Stopps, gehören zum Urcharakter der modernen GT3-Fassung und sind demnach indiskutabel ein Teil des Erfolgskonzepts. Auf diesem Weg sollen Amateurteams vor Boxenschlachten geschützt und Kostenexplosionen vermieden werden – GT3 ist für Kunden(teams), nicht vergessen. Trotzdem ließ sich die SRO Anfang des Jahres erweichen, die sogenannten Joker Pit Stops einzuführen, die in bestimmten Grenzen von der Mindeststandzeit entbinden. In der aktuellen Variante der sportlichen Regularien werden für Spa vier Joker aufgeführt, die alle sechs Stunden nutzbar sind:
However, each car may make four Joker Pit Stops, including fuel but with no time limitations, with a maximum of one Joker Pit Stop every six hours of the race, i.e one in the first six hours of the race, and then one during every six-hour period thereafter. If a Joker Pit Stop is not taken during a six-hour period it will not be carried over to the next period. Teams must notify Race Control via the Team Messaging when they have played their Joker Pit Stop.
Zwar löst dies nicht gerade die Taktung der Strategien auf, ganz im Gegenteil, doch die Crews können viermal glänzen – ein potentiell rennentscheidender Umfang. Mögliche Spielräume ergeben sich dadurch im Bereich der Doppelstints (Macht das überhaupt Sinn bei den GT3-Pneus von Pirelli?) und vor allem hinsichtlich der Betankung. Hier wird natürlich der letzte Joker in den Fokus rücken.
Die Essenz
In Folge dieser Art von Regeln sind engere Zieleinläufe nicht unüblich. Im vergangenen Jahr beendeten Platz eins bis sechs das Rennen zum Beispiel in der Führungsrunde. Zwischen dem siegreichen Audi Sport Team Saintéloc R8 LMS GT3 und dem zweitplatzierten Bentley Team M-Sport Continental GT3 lagen damals nur knappe zwölf Sekunden. Knapp und eng fassen den Ardennen-Lauf also perfekt zusammen: Kaum ein anderes GT3-Rennen bietet dermaßen viel Lackaustausch und zerfledderte Außenhäute.
Vor nun mittlerweile sechs Jahren, also zum Mittelpunkt der vorangegangenen GT3-Generation, reiste das Team von THE DRIVE nach Belgien und schuf eine noch immer sehenswerte Hommage, die diesen Charakter speziell aufgreift (ab 5:52 explizit über das Rennen):
Wer sich aktuellere Impressionen wünscht, sei auf die herausragende Dokumentation FRAMES verwiesen. In dieser begleitet der Zuseher den Motorsportfotografen Jamey Price durch die 24 Stunden von Spa-Francorchamps des Jahres 2017. In den fast 13 Minuten wird zwar hauptsächlich seine Zunft von allen Perspektiven betrachtet, doch der Circuit de Spa-Francorchamps präsentiert sich eindrucksvoll in seiner Nebenrolle und gibt der Herausforderung Motorsportfotografie den verdienten Rahmen. Der interessierte Zuschauer kann darin sogar einen wilden Mattzel89 in freier Wildbahn entdecken. Also, viel Spaß und gute Unterhaltung! (Einbettung für dieses Video nicht verfügbar)
Fazit
Während die meisten großen Klassiker ihre Höhepunkte in der Vergangenheit zu haben scheinen, schreiben die Spa24h jedes Jahr neue, renndefinierende Geschichten, die dank des kostenlosen Livestreams direkt in unsere Computer, Handys und Tablets transportiert werden. Dies ist eine große Chance in der sonst so stark auf historischen Erzählungen beruhenden Welt des Motorsports. Ergreift sie, sonst werdet Ihr sie in etlichen Jahrzehnten in der Form von unglaublichen Erzählungen nachlesen müssen.
Bilderquelle / Copyright: Blancpain GT Series (SRO)