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WTCR: Analyse Vallelunga – Wir müssen reden!

von Nils Otterbein
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Ein sportlicher Blick auf das vergangene Wochenende erübrigt sich aufgrund der Ereignisse rund um die Reifensituation. Es ist kaum zu glauben, dass sich ein solches Debakel wie Ende Mai am Nürburgring in einem FIA Weltcup nochmals wiederholt hat. Dieses Mal zwar mit zwei Rennen, aber die Austragung dieser wurde allenfalls zur Nebensache.

Doch nun der Reihe nach. Der der Absage des Sotschi Rennens wurde erstmals das Autodromo Vallelunga vor den Toren Roms als Ersatzstrecke nominiert. Zuvor waren weder die WTCC noch die WTCR jemals dort, ist es doch mittlerweile eine Strecke, die hauptsächlich vom nationalen Motorsport in Italien und Südeuropa genutzt wird. Man kann von Glück reden, dass der in die Jahre gekommene Kurs dennoch über sehr große Auslaufzonen verfügt im Gegensatz zum Nürburgring. Auch das dürfte ein Grund gewesen sein, wieso man trotz aller Umstände beide Rennen durchgezogen hat.

Bereits im Training fiel ein Reifenschaden von Yvan Muller auf. Insbesondere die Räder der linken Seite wurden durch eine Vollgas-Links nach Start-Ziel immens beansprucht. Die ohnehin schon knappe Reifensituation bei Goodyear im Zusammenhang mit über 60 Grad Asphalt Temperaturen, lies vor allem die Lynk & Co. Mannschaft über das weitere Vorgehen überlegen. Grundlage hierzu waren die veränderten BOP-Bedingungen. Lynk & Co. bekam nach der erfolgreichen Qualifikation aus Vila Real die vollen 40 Kilo Zusatzgewicht in die ohnehin schon wuchtigen Fahrzeuge. Nicht machte das ganze 80 Kilo mehr Gesamtgewicht aus als beispielsweise bei den Kollegen von Hyundai. Honda durfte hingegen nach einigen schwierigen Wochenende nun endlich 20 Kilogramm ausladen von den 40, die man seit dem Auftakt in Pau pilotieren musste.

Jedoch wird man sich bei Honda wohl schon beim nächsten Event über weitere Zusatzkilos „freuen“, da Nestor Girolami sich mit recht großem Abstand die Pole sicherte. Vor allem im letzten, sehr kurvenreichen Sektor waren die Civic unschlagbar. Generell muss man nach dieser Saison dringend die neuen BOP-Regularien auf Grundlage der Qualifikationen hinterfragen. Es kann eigentlich nicht sein, dass nach einer Pole-Runde der Ingenieur aufgrund der langsameren „Target-Zeiten“ ins Auto Sätze funkt wie „Much too quick“. Man muss sagen, dass die alte Regel bis letztes Jahr, dass die durchschnittlichen Zeiten im Rennen als Grundlage dienten, zwar weniger transparent war, aber allemal und im Sinne des Sports verständlicher.

Bereits in Q1 sah man, wie chancenlos Lynk & Co. mit den 40 Kilo zusätzlich war. Zwei der Blauen waren mit Muller und Björk schon in Q1 raus. Überraschend, dass auch Rob Huff im einzigen Cupra an dem Wochenende, da sich Daniel Nagy einen Handgelenksbruch in Vila Real bei einem Crash zugezogen hat, ebenfalls über Q1 nicht hinauskam. Gerade noch rechtzeitig schaffte es Yann Ehrlacher in Q2, da sein Onkel Yvan Muller kurz vor der Start-Ziel Gerade abbremste, um hier teamdienlich zu handeln. In Q2 konnten sich dann durch den Reversed-Grid Ehrlacher und Urrutia immerhin in Reihe eins mit Platz zehn und neun setzen. Doch dazu sollte es nicht kommen!

Ins Q3, sprich Top 5 Shootout kamen am Ende beide Hyundai mit Michelisz und Tabellenführer Azcona, sowie beide ALL-INKL. COM Honda. Dazu auch mit Nathanael Berthon ein Audi. Die Pole ging wie erwähnt an Girolami. Der Rest konnte seine „Target Zeiten“ fahren und somit waren Azcona aud zwei, Michelisz auf drei, Berthon auf vier und Guerrieri auf fünf.

Rennen 1

Bereits im Vorfeld kamen viele Gerüchte auf, welche Aktion nun Lynk & Co. plant. Man hatte hier wegen dem immensen Zusatzgewicht intern bereits vorher entschieden, nach der Einführungsrunde in die Box zu fahren. Eine ähnliche Aktion, wie es die diversen Michelin bereiften Teams beim Indianapolis Grand Prix 2005 in der Formel 1 machten. Somit war das Wochenende ab diesem Zeitpunkt sportlich eine reine Farce, da somit nicht nur die Meisterschaftsplatzierten zwei und drei mit Ehrlacher und Urrutia fehlten, sondern mit fünf fehlenden Wagen nur noch elf Fahrzeuge im Grid standen. Ein armseliges Bild für eine FIA Serie! Eine ähnliche Geschichte gab es mal 2020 am Nürburgring, als Hyundai alle Autos zurückzog, weil sie mit der BOP unzufrieden waren. Generell hatte Lynk & Co. schon oft mit politischen Dingen gedroht, aber dass sie es wirklich durchzogen war im Nachgang für die Sicherheit aller wohl sogar das Beste!

Nun schauten sich die Lynk-Piloten das Rennen aus der Box an und man merkte dem Feld die Unsicherheit an. Keine wirklichen Zweikämpfe, nichts was guten Tourenwagensport ausmacht! Nach ca. zehn Minuten ging dann genau das los, wovor alle vorher gewarnt hatten. Thiago Monteiro, der sich aus Indy 2005 mit solchen Situationen auskennt und damals sein einziges F1 Podium im Jordan feierte, hatte in der gleichen Runde einen Reifenplatzer wie Mehdi Benanni. Daraufhin waren diverse Teile auf der Strecke verstreut, jedoch ohne hier ein Safety Car auf die Bahn zu schicken, was schon an Fahrlässigkeit grenzt. Wenige Minuten später hatte Nathanael Berthon einen Reifenschaden in der Vollgas-Links nach Start-Ziel, wo es am Sonntag in der ETCR Bruno Spengler heftig erwischte und er sich dort eine Wirbelverletzung zuzog. Berthon konnte den Einschlag noch verhindern. Manche machten nun einen Sicherheitsstopp in Voraussicht.

Acht Minuten vor Schluss schickte man nun das Safety Car raus, was für alle eine Erlösung gewesen sein dürfte, um die Belastungen aus den Rädern etwas rauszunehmen. Zu diesem Zeitpunkt waren tatsächlich nur noch Girolami, Azcona, Magnus, Michalisz, Guerrieri und Coronel im Rennen. Der Rest war entweder nicht gestartet (Lynk & Co.) oder hatte einen Reifenschaden oder machte einen Sicherheitsstopp. Nach dem Restart änderte sich an der Reihenfolge an der Spitze nicht mehr, ehe Guerrieri einen Turbolader-Schaden hatte und nur noch rauchend ins Ziel kam. Auch Tom Coronel hatte noch in der letzten Runde einen Reifenschaden mit dem er ins Ziel kam. Für einen weiteren „Fail“ wurde am Rennende gesorgt, da es ja eigentlich die Regel gibt, dass beim Safety Car Einsatz am Ende des Rennens zwei Runden extra gefahren werden. Hier hatte man sich wohl verständlicherweise dagegen entschieden, was jedoch bei den Streckenmarshalls offenbar nicht ankam, weshalb die Zielflagge nicht geschwenkt wurde und manche Vollgas weiter gefahren sind. Am Ende waren lediglich die Top 4 (Girolami, Azcona, Magnus und Michelisz) vor Reifenschäden oder anderen Problemen verschont. Am Ende waren also beide Hyundai und beide Honda Civic von ALL-INKL.COM ohne Reifenschäden geblieben, was ich mal nicht als Zufall sehen würde. Die Hyundai haben ein sehr ruhiges Fahrwerk, während die Mannschaft von René Münnich auf der Strecke testen war.

Rennen 2

Viel kam nicht an die Öffentlichkeit, welche Diskussionen es in den fünf Stunden nach dem ersten Rennen, jedoch wird man sicherlich genau überlegt haben, ob man das Rennen durchführen sollte. Eigentlich wäre es eine reine Lynk-Reihe geworden, daraus wurde jedoch erneut nichts, da man erneut nach der Einführungsrunde an die Box ging und die Rennen nicht fuhr.

Umso überraschender, dass die Gangart nach dem Start deutlich härter war als im ersten Rennen und man nichts von Reifensorgen bemerken konnte. Bennani räuberte im gefürchteten Turn zwei durch die Wiese und verlor die beiden Plätze gegen Tassi und Berthon. Sein Cometoyou Audi Teamkollege Gilles Magnus setzte sich nach der geerbten Pole auf P1, was auch in diesem Rennverlauf Goldwert sein sollte. Auch Mikel Azcona fuhr angesichts seiner nun klaren Tabellenführung riskant und nahm die Kerbs ordentlich mit. Insgesamt fiel jedoch auf, dass viele Autos mehr Federung wie wenige Stunden zuvor hatten, was auf höhere Reifendrücke schließen lässt.

Jedoch verhinderte auch das nicht weitere Reifenschäden: Auch hier war Mehdi Bennani der Startschuss, dem nach zehn Minuten, praktisch nach gleicher Rennzeit wie im ersten Rennen, der Reifen hochging. Daraufhin reagierte man bei Honda und Nestor Girolami lies sich auf Platz sechs liegend zurückfallen, um die Punkte abzusichern. Hier gab es anschließend für die Meisterschaft einen Platztausch zwischen Guerrieri und Girolami. Erneut erwischte es jedoch die Engstler Mannschaft mit Thiago Monteiro, der kurz vor Schluss einen Reifenschaden hatte und ebenso Guerrieri in der letzten Runde.

In diesem Rennen kamen immerhin die Top 7 (Magnus, Berthon, Azcona, Michelisz, Girolami, Huff, Coronel) ins Ziel. Der Rest ist ebenfalls nicht gestartet oder musste einmal an die Box. Zusammenfassend muss man sagen, dass die Top Vier aus dem ersten Rennen (Girolami, Azcona, Magnus und Michelisz ebenfalls ohne Probleme durchkamen. Schwer vorstellbar, dass es sich um einen Zufall handelt. Mit entsprechender Fahrweise und guter Abstimmung scheint es also funktioniert zu haben, allen voran bei der Hyundai Mannschaft.

Gewinner des Wochenendes sind ganz klar Mikel Azcona und Nestor Girolami, die beide Rennen nutzen konnten, um sich von den nicht gestarteten Kollegen abzusetzen. Urrutia und Ehrlacher haben nun einen großen Rückstand und müssen hoffen, dass alle wohl abgesagten Asienrennen nachgeholt werden.

Fazit:

Insgesamt war es natürlich ein rabenschwarzes Wochenende für das Ansehen der Serie. Geschockt war ich über die Einfallslosigkeit der Rennleitung in der absehbaren Situation. Die MotoGP hatte ab und zu Rennen gehabt mit hohem Verschleiß und einen Pflichtstopp eingeführt, wieso nicht hier? Selbst wenn man keine Reifen mehr hat, könnte man zumindest im Rennen einmal wie im GT Sport den Reifen untersuchen und den Druck anpassen. Wie wäre es gewesen mit geänderten Startzeiten in den Morgenstunden bei kühleren Temperaturen? Ok, fürs TV nicht ideal, aber der Sicherheit wegen allemal besser! Wie wäre es mit einer Reifenschikane gewesen, die man auf Start-Ziel hätte aufstellen können? Macht man doch im Motorland Aragon auch gerne als Streckenbegrenzung! Generell hat es nach dem Nürburgring keine transparente Aufarbeitung gegeben, was sich nun gerecht hat. Nun muss man mal wirklich alle Beteiligten an einen runden Tisch setzen, da die Rennserie in der aktuellen Form höchstgefährdet für 2023 zu sein scheint. Wenn sich eine Marke aus verständlichen Gründen zurückzieht, wird es das wohl mit einem FIA Status gewesen sein bei den nur noch gut zehn Autos. So weit darf man es nicht kommen lassen! Die Zutaten für guten Motorsport sind gegeben, man denke an das erste Jahr 2018 mit knapp 30 Wagen, aber nun muss etwas mit der Plattform passieren, damit nicht auch der Letzte die Lust daran verliert!

Bildquelle: WTCR Media (https://www.fiawtcr.com/de/photos/?fid=1871-wtcr-race-of-italy)

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