Home LMSELMS ELMS: Analyse 4h von Le Castellet

ELMS: Analyse 4h von Le Castellet

von StefanTegethoff
3 Kommentare

Eigentlich waren die 4h von Le Castellet zumindest in der LMP2-Kategorie ein abwechslungsreiches und sehenswertes Rennen. Doch – wie ich schon beim vorangegangenen Lauf auf dem Red Bull Ring bemängelt habe – es spielten auch hier wieder Strafen und Safety Car-Phasen eine rennentscheidende Rolle. So erbte Greaves Motorsport am Sonntagabend den Sieg von Jota Sport aufgrund eines Verstoßes gegen das sportliche Reglement in Form einer Fahrzeitüberschreitung.

ND5_0277 Nun ist es nicht unbedingt der Organisation der Rennserie anzulasten, wenn die Teams und Piloten Fehler machen und so diese Verwerfungen provozieren; doch bei nur fünf Saisonrennen (nächstes Jahr sechs, dazu später mehr) haben diese Verwerfungen einerseits große Auswirkungen auf die Meisterschaft, andererseits bleiben so wenige wirklich tolle, saubere Rennen übrig, um die Außenwirkung der Serie aufzubessern. Handlungsbedarf für 2016 ist als vorhanden, beispielsweise sollte sich auch die ELMS Gedanken über den Einsatz von Full Course Yellows bzw. Virtual Safety Car-Phasen machen, wie sie die WEC inzwischen erfolgreich praktiziert. Bei Langstreckenrennen ist das Aufrechterhalten herausgefahrener Vorsprünge einfach eminent wichtig.

LMP2

Doch schauen wir zunächst auf den Rennverlauf bzw. die Quali: Der Sonntag hatte gut begonnen für das Jota-Team: Harry Tincknell setzte den Wagen auf Pole, vor den beiden AF Racing BR01 – anderthalb Zehntel vor Nicolas Minassian, Mikhael Aleshin weitere viereinhalb Zehntel zurück, der wiederum knapp von Tristan Gommendy im Thiriet-Oreca gefolgt wurde.

Für das Rennen setzten diese Teams auf unterschiedliche Taktiken: Das russische AF Racing-Team schickte seine beiden schnellsten Piloten, die auch die Quali bestritten hatten, für den ersten Stint vor, während man bei Jota erst einmal den schwächeren Semi-Profi Simon Dolan ans Steuer ließ (‚schwächer‘ heißt in diesem Fall, dass er der siebtschnellste Fahrer im Feld war); Thiriet by TDS ließ Ludovic Badey den Start fahren. Während letzterer Kurve 1 verpasste und beim Weg durch die weite asphaltierte Auslaufzone Plätze verlor, wurde Polesitter Dolan von den beiden Vollprofis in den BR01-Boliden überrumpelt und fiel auf Rang 4 zurück. Später in seinem Stint sollte er sich noch einen Dreher (auf alten Reifen) leisten, war ansonsten aber solide unterwegs.

Vorn jedoch zogen die beiden blau-weiß-roten LMP2 im Paarflug davon und erarbeiteten sich einen ordentlichen Vorsprung – bis das Safety Car zum ersten Mal auf die Strecke kam. Damit war der Vorsprung – wie für Jota beim letzten Lauf in Österreich – dahin und der Schachzug, früh auf die Topfahrer zu setzen, für die Katz. Zwar konnten Minassian und Aleshin sich noch einmal absetzen, doch nachdem sie an ihre jeweiligen schwächeren Teamkollegen übergeben hatten, fielen die beiden BR01-Nissan zunächst zurück.

ND5_9525Stattdessen schob sich im Laufe der nächsten Stunden der Thriet by TDS-Oreca an die Spitze, nachdem Tristan Gommendy mit schnellen Zeiten Badeys Start-Ausrutscher ausbügelte. Doch ein vermeintlicher Plattfuß erzwang einen zusätzlichen Boxenstopp, sodass der Jota-Gibson, der von Filipe Albuquerque ebenfalls mit tollen Zeiten um den Kurs gehetzt wurde, die Führung übernehmen konnte. Albuquerque übergab an Tincknell, der den Sieg – vermeintlich – nach Hause fuhr.

Um die übrigen Podiumsplätze kämpften etwa eine Stunde vor Schluss der AF Racing-BR01 von Aleshin/Ladygin/Shaitar und der Thiriet by TDS-Oreca. Dadurch konnte Jon Lancaster im Greaves-Gibson-Nissan aufschließen und aus dem Duell einen Dreikampf machen. Nach einigen gescheiterten Überholversuchen und sehenswerten Fahrmanövern konnte sich schließlich Lancaster durchsetzen und Platz 2 erringen, den er bis zur Zielflagge behalten sollte. Der Thiriet-Oreca dagegen musste kurz darauf überraschend mit Bremsproblemen in die Garage geschoben werden, sodass die beiden BR01-Nissan im Ziel die Plätze 3 und 4 belegten.

Die schlechte Nachricht für Jota folgte am Abend: Filipe Albuquerque hatte die maximale Fahrzeit, die festgelegt ist, um einen ausgeglichenen Einsatz der unterschiedlich starken Fahrer zu gewährleisten, um knapp zwei Minuten überschritten – ein bis zwei Runden früher hätte er das Auto an Tincknell übergeben müssen. Die Rennleistung verhängte eine 45 Sekunden-Zeitstrafe, die das britische Team auf Rang 3 zurückwarf – Jon Lancaster, Björn Wirdheim und Gary Hirsch erbten so den Sieg bei den 4h von Le Castellet, Aleshin/Ladygin/Shaitar wurden Zweite.

Es ist eine spannende Frage, wie lange die BR01-Nissan sich an der Spitze hätten behaupten können, wäre nicht ein großer Teil ihres Vorsprungs der ersten Safety Car-Phase zum Opfer gefallen. Ein Sieg wäre wohl nicht drin gewesen – dafür sind die Fahrertrios im Vergleich zur LMP2-Konkurrenz zu wenig ausgeglichen. Doch die von Paolo Catone konstruierten BR01-Chassis funktionieren wunderbar und haben den Speed, ganz vorne mitzufahren. Immerhin drehten Aleshin und Minassian die schnellsten Rennrunden, zweieinhalb Zehntel vor Harry Tincknell im Jota Sport-Gibson. Auch der Wechsel von Michelin zu Dunlop hat das Team vorangebracht; Michelin mag in allen anderen Kategorien den Ton angeben, doch die LMP2 ist Dunlop-Land. Und dieser Reifenwechsel ist auch der Grund für die Änderung des Teamnamens: Als russisches Team hätte SMP/AF Racing aufgrund von Wirtschaftssanktionen keine Pneus von der Goodyear-Tochter Dunlop beziehen können…

ND5_9221Auch nach der Strafe hat Jota Sport noch die Meisterschaftsführung inne – doch anstelle eines großen Puffers beträgt der Vorsprung auf die Greaves-Mannschaft nur einen einzigen Zähler (76:75). Zwei der vermeintlich veralteten offenen Gibson-Chassis liegen somit vorn – und Greaves hat als einziges Team zwei Siege. Jota hat bereits angekündigt, 2016 in der World Endurance Championship anzutreten; der Titelgewinn zum „Aufstieg“ wäre ein schöner Abschied für eines der stärksten Teams der ELMS – und der LMP2-Klasse weltweit.

Thiriet by TDS liegt nach dem Bremsproblem von Le Castellet zehn Punkte zurück, hat aber auch noch Chancen, falls bei Jota UND Greaves etwas schief geht. Krohn Racing liegt abgeschlagen, aber überraschend solide auf Rang 4. AF Racing wird als neues Team gewertet und die Punkte nicht auf das SMP Racing-Konto gutgeschrieben; doch in der Fahrerwertung liegen deren Piloten Ladygin und Aleshin nur einen Punkt hinter Krohn und Jönsson (Krohn Racing).

LMP3

ND5_0604Die ersten Meister sind schon gekürt: Der britische Olympia-Star Sir Chris Hoy und sein Teamkollege Charlie Robertson haben in Le Castellet mit ihrem Team LNT-Ginetta die Fahrer- und Teamwertung in der Debütsaison der LMP3-Klasse geholt. Das LNT-Schwesterauto fiel mit Getriebeschaden früh aus, somit war der dritte Saisonsieg ebenso ungefährdet wie der Titelgewinn. Knapp eine Runde betrug am Ende der Vorsprung auf das Villorba Corse-Team, das in der Meisterschaft nur auf Rang 4 liegt.

GTE

An der Spitze der GTE-Klasse war das Rennen recht früh entschieden. In der Anfangsphase führte mehrfach der AT Racing-Ferrari – doch das Team um Vater und Sohn Talkanitsa wurde mehrfach wegen Missachten der Streckenbegrenzungen bestraft. Der von AF Corse betreute Formula Racing-Ferrari mit Laursen/Mac/Rizzoli übernahm in Runde 33 die Führung und gab sie auch in den nächsten drei Rennstunden nicht mehr her. Dabei wurden sie vom Safety Car unterstützt, das hinter ihnen auf die Strecke kam und ihnen somit fast eine Runde Vorsprung auf die Verfolger schenkte. Zweite wurden Priaulx/Hassid/Krohn im MarcVDS-BMW (den ich aufgrund seines Topspeed-Nachteils unterschätzt hatte, doch eine günstige BoP-Änderung half dem Team); den dritten Rang sicherten sich nach tollem Zweikampf gegen den Proton-Porsche Smith/Butcher/Cocker im britischen JMW-Ferrari, wobei Jonny Cocker ein ELMS-Rückkehrer und Rory Butcher ein Neuling ist.

ND5_9244Mit dem zweiten Sieg in Folge baut Formula Racing auch seine Meisterschaftsführung aus: 19 Punkte liegen die Fahrer und das Team in den jeweiligen Wertungen vorn, gefolgt von MarcVDS (samt Piloten). Dahinter ballt es sich, sodass es um Rang 2 spannend wird – doch wenn es nicht zu einem Ausfall kommt, sollte den Dänen von Formula Racing der Titel bei noch 25 zu vergebenden Punkten kaum noch zu nehmen sein.

GTC

Auch die GTC-Klasse war diesmal nicht übermäßig spannungsgeladen. Führte in der ersten Rennstunde noch der AF Corse-Ferrari mit der #63 (Roda/Melenkov/Cioci), übernahm dann der TDS Racing-BMW Z4, der die Führung – nach dem Ausfall des härtesten Konkurrenten – auch bis zum Rennende nicht mehr hergab. Perera/Lunardi/Dermont siegten für TDS Racing mit knapp einer Minute Vorsprung vor dem #62 AF Corse-Ferrari (Flohr/Castellacci/Hall); dritte wurden Elgaard/Poulsen/Moller im Massive Motorsport-Aston Martin, sodass alle drei in der Klasse vertretenen Marken auf dem Podium standen.

TDS Racing bzw. Perera/Lunardi/Dermont ist auch der Klassentitel kaum noch zu nehmen: 23 Punkte beträgt der Vorsprung in Team- und Fahrerwertung vor dem #62er AF Corse-Ferrari von Flohr/Castellacci/Hall. Abgeschlagen folgen die beiden weiteren AF Corse-Mannschaften.

Ausblick

ND5_9203Über einen Monat ist es hin bis zum Saisonfinale in Estoril: Am 17. und 18. Oktober wird dort um die letzten Punkte der Saison 2015 gefahren – in drei Klassen sind die Titelkämpfe noch mehr oder weniger offen. Allein der LMP2-Meisterschaftskampf zwischen Jota Sport, Greaves Motorsport und Thiriet by TDS ist ein Grund zur Vorfreude – und die russisch-italienischen BR01 könnten bei der bisher gezeigten Formkurve im Saisonfinale den ersten Sieg anstreben.

Im kommenden Jahr wird die ELMS ein zusätzliches Rennen fahren: Ein herbstlicher Lauf in Spa-Francorchamps (23. bis 25. September 2016) ist als vorletztes Rennen vorgesehen. Das wertet die Serie enorm auf, zumal auch ein sechstes Rennen kein schlechter Schachzug ist, da die Zeiträume zwischen den Events doch teilweise sehr lang sind. So ist nun in jedem Monat zwischen April und Oktober ein Rennen angesetzt, abgesehen vom Juni, der Le Mans vorbehalten ist. Vom neu hinzukommenden Lauf in Spa abgesehen bleibt der Kalender stabil: Silverstone, Imola, der Red Bull Ring, der Circuit Paul Ricard, Spa und Estoril sind die Stationen. Rennen der Formel Renault 2.0 und der Renault Sport RS01 Trophy bilden den Rahmen an den zukünftig dreitätigen Rennwochenenden, nur in Silverstone fährt die ELMS wieder als hochkarätiger Support für die WEC.

(Fotos: ELMS Media)

Das könnte Dir auch gefallen

3 Kommentare

chrisb 9 September, 2015 - 10:22

Hallo Stefan,

vielen Dank für den schönen Bericht.

Ich hätte eine kleine Frage:
Du schriebst, dass Dolan der 7. schnellste Fahrer im Feld war. Gibt es dazu eine Übersicht mit allen Piloten? Das würde mich sehr interessieren.

Gruß

StefanTegethoff 12 September, 2015 - 00:53

@ chrisb:

Hi,

die Zeitnahme-Dokumente der ELMS kannst du unter
http://elms.alkamelsystems.com/ durchstöbern, viel Spaß!

chrisb 25 September, 2015 - 08:29

@ StefanTegethoff:

Super, vielen Dank!

Comments are closed.