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24 Stunden von Le Mans: Vorschau – Die LMP1

von StefanTegethoff
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Zwar ist die Top-Klasse beim Jubiläumsrennen mit nur acht Fahrzeugen dünn besetzt, doch das Duell Audi vs. Toyota scheint vielversprechend. Oder doch nicht?

Le Mans Test Day

Quelle: Audi

Es gibt einige Ausrufezeichen und einige Fragezeichen im Vorfeld der zweiten 24h-Schlacht dieser beiden Werke. Klar ist: Audi ist schneller und Toyota hat den geringeren Verbrauch. Und bereits das ist bemerkenswert, denn im Vorjahr war es umgekehrt. Stets setzte Audi mit dem Diesel auf Effizienz und lange Stints, um möglichst wenige Boxenstopps absolvieren zu müssen. Denn die über 24h akkumulierte Standzeit kann der entscheidende Faktor im Kampf um den Sieg sein, wie es sich im Duell Audi vs. Peugeot oft zeigte. Doch nun haben die Ingenieure aus Ingolstadt die Taktik grundlegend geändert: Der Diesel-Motor bietet den Vorteil, dass die Erhöhung der eingespritzten Menge auch die Leistung deutlich erhöht. In Spa fuhren die Audi um etwa ein Viertel kürzere Stints als im Vorjahr. Man kann also von einem recht deutlichen Leistungsanstieg ausgehen.

Die vertauschten Rollen werden das Rennen interessant machen: Audi muss vorlegen und vom Start an die Flucht nach vorn antreten, statt sich auf die Konstanz und Zuverlässigkeit zu verlassen, durch die sie Peugeot so oft besiegt haben. Ganz entscheidend ist in diesem Zusammenhang auch die Anpassung der Performance, die FIA und ACO nach dem Rennen vorgenommen haben: Drei zusätzliche Liter Sprit dürfen alle Benziner mit an Bord nehmen. Toyota scheint gute Lobby-Arbeit geleistet zu haben, denn diese drei Liter könnten die Gleichung massiv beeinflussen, wie Paul Truswell, den man mit seinen Rundentabellen und Statistiken als Taktik-Experten von Radio Le Mans bezeichnen könnte, schon vor einigen Wochen ausführlich vorgerechnet hat.

Wenn diese drei zusätzlichen Liter genau die Menge sein sollten, die der TS030 braucht, um jeden Stint um eine Runde zu verlängern, werden sie laut Truswell das Rennen (bei theoretisch optimalem Verlauf) mit sieben Tankstopps weniger abschließen können. Im Ergebnis müsste Audi 0,7 bis 0,8 Sekunden Abstand pro Runde herausfahren, um am Ende als erstes die Ziellinie zu überqueren.

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Quelle: ACO

Die Ergebnisse des Testtages lassen vermuten, dass dies im Bereich des Möglichen sein sollte: Die 3’22.583, die Loic Duval kurz vor Schluss auf abgetrockneter Strecke fahren konnte, unterbot die Bestzeit des schnelleren der beiden Toyotas um knapp fünf Sekunden! Nun sollte man den Zeiten bei Testfahrten nicht allzu viel Gewicht beimessen; beide dürften in Quali und Rennen noch einmal schneller fahren können, als sie dies bisher gezeigt haben. Doch eine Kampfansage von Audi ist diese Rundenzeit allemal.

Der neu gefundene Speed des R18 e-tron quattro kommt jedoch nicht nur durch das geänderte Motor-Management zustande. Seit den 6h von Spa im Mai ist bekannt, dass Audi über den Winter eine Variante des angeblasenen Diffusors entwickelt hat. Der Auspuff-Strom wird nicht mehr einfach zum Heck des Autos geführt, sondern wird hinter dem einzelnen Turbolader geteilt und zu beiden Radkästen geleitet, wo er an der Innenseite (aus der Seitenansicht „hinter“ dem Rad) direkt an der Kante zum Unterboden durch einen langen Schlitz ins Freie gelangt. So werden – wie aus der Formel 1 bekannt – die Seiten des Diffusors „abgedichtet“ (laut „Mulsanne Mike“ Fuller auch gegenüber den Verwirbelungen, die aus dem Radkasten unter das Auto gelangen, was vermutlich letzten Endes mehr Anpressdruck erzeugt. Die für Le Mans neuentwickelte „Langheck“-Variante des R18 (die allerdings nur einen Entwicklungsschritt nachholt, den die Konkurrenzteams längst hinter sich haben), dient dagegen laut Fuller vor allem der Abflachung des Winkels des Diffusors, was zwar den Anpressdruck, aber auch den Luftwiderstand verringert, der in Le Mans so entscheidend ist.

Große Neuerungen bietet die 2013er Version des Toyota TS030 dagegen nicht. Detail-Verbesserungen hier und dort, auch die Pressemitteilungen sprechen nur von Verfeinerungen, Updates, Optimierung. Das Monocoque wurde umgestaltet, nachdem die Option eines Front-Hybrid-Antriebs im Vorjahr verworfen wurde. Dass man eine Regellücke zur Verbreiterung der Heckflügel gefunden hat, hat man schon im Vorjahr offenbart und ausgenutzt, Audi und auch Rebellion haben längst nachgezogen, sodass dieser Vorteil nicht mehr existent ist. Die Zusatzteile erlauben (so Fuller unter dem oben angegebenen Link) eine flachere Stellung der Haupt-Heckflügel und bringen so ein besseres Verhältnis von Luftwiderstand zu Anpressdruck.

Wenn man den am Testtag gefahrenen Rundenzeiten Bedeutung beimessen möchte, scheinen die Innovationen am R18 ihre beabsichtigte Wirkung nicht verfehlt zu haben: Die drei Audi R18, die am Rennen teilnehmen werden, erreichten Höchstgeschwindigkeiten bis zu knapp 329 km/h; beide TS030 „stoppten“ bei 322,9 km/h. Gleichzeitig ist der Audi aber auch in den schnellen Porsche-Kurven deutlich schneller: Rund 0,7 Sekunden nahm der jeweils schnellste Audi dem jeweils schnellsten Toyota an beiden Testsessions in dieser 15 Sekunden langen Streckenpassage ab, in der es auf den Abtrieb ankommt.

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Quelle: Toyota

Einen kleinen Vorteil dürfte Toyota mit seinem Hybrid-Konzept haben, da der Superkondensator ein effizienterer Energiespeicher ist. Außerdem erlaubt das Reglement bei einem Einbau an der Hinterachse den Einsatz jederzeit, während Audi, deren Elektromotoren die Vorderräder antreiben, diese erst ab 120 km/h zuschalten darf. Welchen Beschleunigungsvorteil das den Japanern bringt, kann man in jedem direkten Zweikampf beobachten, bspw. in Spa oder im Vorjahr in Le Mans. An den für den Hybrid-Ausstoß entscheidenden offiziellen „Bremszonen“ hat sich derweil nichts verändert: Die sieben Punkte sind wie im Vorjahr die Dunlop-Schikane, die beiden Hunaudières-Schikanen, Mulsanne Corner, Indianapolis, der Eingang der Porsche-Kurven und die erste Ford-Schikane. (Die Hybrid-Konzepte habe ich im Vorjahr erklärt.)

WEC Spa-Francorchamps 2013

Quelle: Audi

Doch die 24 Stunden von Le Mans sind nicht nur ein Wettbewerb der Ingenieure, sondern auch der Fahrer. Beide Hersteller sind wieder einmal sehr stark aufgestellt, alle 15 Piloten sind als Platin-Fahrer kategorisiert. Titelverteidiger sind André Lotterer, Benoit Treluyer und Marcel Fässler in der #1. In der #2 werden Tom Kristensen und Allan McNish nun von Loic Duval unterstützt, nachdem Rinaldo Capello seine Karriere beendet hat. Lucas di Grassi, Marc Gené und Oliver Jarvis pilotieren die #3.

Paul Truswell hat nach den Rennen in Sebring und in Spa die Leistungen der Audi-Fahrer verglichen, indem er jeweils den Schnitt ihrer 25 (in Spa) bzw. 50 (in Sebring) besten Runden errechnete. Lotterer war bei den 12h von Sebring nicht am Start, sein Schnitt in Spa ist jedoch der mit Abstand beste: 0,8 Sekunden nahm er im Durschnitt pro Runde (gut 2 Minuten in Spa) Loic Duval, dem nächstbesten ab. Die Altstars Kristensen und McNish dagegen konnten in Spa nicht mehr wirklich den schieren Speed der „jungen Wilden“ mitgehen, während die relativen Neulinge di Grassi und Jarvis sich in Sebring etwas schwertaten, aber in Spa überzeugten. Da sich jedoch die Besetzungen zwischen den beiden Rennen verschoben haben und auch jeweils in einem Rennen unterschiedliche Modellvarianten des R18 am Start waren, sind weitergehende Folgerungen schwierig.

TS030 Launch

Quelle: Toyota

Für Toyota treten an: Alex Wurz, Nicolas Lapierre und Kazuki Nakajima in der #7 und Anthony Davidson, Sebastien Buemi und Sebastien Sarrazin in der #8. Beide Trios sind schnell und ausgewogen; eine gewisse Gefahr sehe ich allerdings darin, dass mit Nakajima und Davidson in beiden Fahrzeugen Fahrer vertreten sind, die gelegentlich dazu neigen, über das Limit zu gehen: Nakajima riss im Vorjahr den zweiten Toyota aus dem Rennen, als er nach einer Safety-Car-Phase übermütig den Nissan Delta Wing über den Haufen fuhr; Davidson möchte ich zwar keinesfalls die Schuld für den schweren Unfall im Vorjahr geben, doch bei anderen Gelegenheiten zeigte er wenig Rücksicht, etwa bei seiner Aufholjagd für Peugeot 2010, als er in den Porsche-Kurven die GTE-führende Corvette abdrängte.

Da in diesem Jahr die Rundenzeiten wieder unter die 3‘20er Marke zu fallen drohen, ist auch die Gefahr schwerer Unfälle weiterhin gegeben. Der angesprochene Unfall von Anthony Davidson im Vorjahr hat gezeigt, dass auch die Kombination aus den großen Löchern in den Kotflügeln und den großflächigen Finnen ein Abheben nicht in jedem Fall verhindern kann. Wenn ein Prototyp bei hoher Geschwindigkeit in den falschen Winkel zum Wind gerät, bleibt diese Gefahr leider bestehen. Gerade die Fahrer, die um den Gesamtsieg kämpfen und über 24 Stunden am Limit fahren, müssen also den Kompromiss zwischen sicherem und schnellem Überrunden finden.

Fazit: Audi scheint Favorit zu sein, doch noch haben beide nicht alles gezeigt. In 24 Stunden kann vieles schiefgehen, selten läuft ein Rennen für ein Team komplett nach Plan. Also sollte man Toyota nicht abschreiben. Doch die Ingolstädter scheinen über den Winter mehr gefunden zu haben und besser vorbereitet in das Rennen zu gehen, während Toyota mit geringerem Budget den neuen TS030 erstmals in Spa unter Rennbedingungen einsetzte. Zu gönnen wäre es den Kölnern, doch es wird äußerst schwierig.

Die Privatiers

SBA_13JT_D71_0050In diesem letzten Jahr des auslaufenden Reglements sind neben den beiden Werken nur zwei privat geführte LMP1-Teams verblieben: Rebellion Racing und Strakka Racing. Pescarolo ist zum x-ten mal – und nun wohl leider (vorerst) endgültig – pleite, Dome setzt in diesem Jahr aus, JRM ist nach dem schwierigen LMP1-Debutjahr in die Blancpain Endurance Series gewechselt und OAK Racing konzentriert sich voll auf die LMP2. Die fehlenden Siegchancen durch die stets dominierenden Werke, die teure WEC und die Streichung der LMP1 aus dem Feld der European Le Mans Series machen den sinnvollen Einsatz der Wagen für ein kleines Team schwierig.

Auch ab 2014 wird es aller Voraussicht nach nicht leicht werden, als Privatier in der LMP1 Fuß zu fassen, doch in den letzten Woche gab es eine Reihe guter Nachrichten bezüglich neuer Kunden-Fahrzeuge für das neue LMP1-Reglement. So hat sowohl Dome Bilder des Windkanal-Modells seines S103 veröffentlicht und auch das neue Team Perinn LMP1 um den fast gleichnamigen ehemaligen Pescarolo-Designer hat den Bau eines Coupés angekündigt. Außerdem wird Rebellion Racing in Zusammenarbeit mit Oreca einen brandneuen LMP1 auf Kiel legen und am Sonntag hat auch OAK Racing bestätigt, dass man unter dem Label OnRoak einen eigenen LMP1 bauen wird.

Die Lola-Rennwagen-Sparte wird derweil zum Glück von Multimatic weitergeführt. Was aus HPD wird, ist bisher unklar; doch da nach dem neuen Reglement auch Formel-1-Motoren in Le Mans zum Einsatz kommen können, ist zu hoffen, dass die Japaner Synergien zwischen dem F1-Comeback 2015 und einem neuen LMP1-Projekt sehen – sei es auch nur als Motoren-Lieferant.

ACO und FIA versuchen weiterhin, den finanziell bedingten Nachteil der Privatiers durch sogenannte Adjustments of Performance auszugleichen. Diese sollen gewährleisten, dass die verschiedenen Antriebstechnologien innerhalb von 2% (bezogen auf die Rundenzeit) zueinander liegen. In Le Mans würde dies bei einer Rundenzeit von etwa 3’25 an der Spitze bedeuten, dass die Nicht-Hybrid-Benziner (also die Privatiers) nicht mehr als 4,1 Sekunden Rückstand haben sollen. Am Testtag lag der beste dieser Wagen über 9 Sekunden hinter Loic Duvals Top-Runde und damit gute 4 Sekunden hinter dem schnellsten Toyota.

Vor der Saison wurde für die Werkswagen (bzw. offiziell für die Hybrid-Benziner und Hybrid-Diesel) ein Zusatzballast von 15kg verordnet; außerdem dürfen die Privatiers 5 Liter mehr Sprit fassen. Doch auch diese vorsichtigen Angleichversuche ermöglichen es einem starken, selbst entwickelnden Team wie Rebellion nicht, mit dem Wettrüsten der „Großen“ mitzuhalten. So schade dies ist, es ist die Realität und es kann meiner Meinung nach auch gar nicht anders sein. Solange die Werke ihr Material nicht den kleinen Teams zur Verfügung stellen, wie dies v.a. Porsche in den 70er und 80er Jahren gemacht hat, wird diese Barriere – unabhängig von Antriebstechnologien – immer bestehen bleiben.

SBA_13JT_D39_1017Somit tragen die Privatiers in diesem Jahr wieder ihr eigenes – leider sehr kleines – Rennen aus. Klarer Favorit ist unter den zwei antretenden Teams Rebellion Racing mit seinen zwei Lola-Toyotas. De Favoritenrolle gehört der #12 mit Nicolas Prost, Nick Heidfeld und Neel Jani, die im Vorjahr dank der Toyota-Ausfälle und Audi-Patzer beinahe das Gesamt-Podium in Le Mans erreicht hätten. Dieser Erfolg blieb ihnen leider verwehrt und auch 2013 würde es dazu wieder einer großen Portion Glück bedürfen, denn aus eigener Kraft haben sie gegen die Werksautos nach wie vor keine Chance. Doch sollten Audi und Toyota wieder zahlmäßig dezimiert werden, dürfte die #12 zur Stelle sein. Die #13 ist mit Belicchi/Beche/Cheng vom Fahrtalent her einen Tick schwächer einzuordnen, wird aber einspringen, falls der #12 etwas zustoßen sollte.

Ein „Sieg“ von Nick Leventis‘ Strakka-Team wäre eine große Überraschung – und das, obwohl die LMP2-Sieger von 2010 kaum noch eine echte Schwäche haben. Jonny Kane und Danny Watts sind zwei absolute Top-Piloten, Leventis selbst hat mittlerweile viel Routine und ihm unterlaufen keine so groben Schnitzer mehr wie in der Anfangszeit; doch er ist als Silber-Fahrer nunmal der Schwachpunkt im Vergleich zu den Vollprofi-Lineups von Rebellion, und auch der aktuelle HPD kann mit den Lola-Toyotas nicht ganz mithalten.

Die weiteren Teile der Vorschau blicken auf die einzelnen Klassen voraus: Am Mittwoch sind die beiden GTE-Kategorien an der Reihe und am Donnerstag folgt die LMP2, nachdem bereits am Mittwochabend die Action auf der Strecke mit den Trainings- und Qualifikationssessions beginnt. Wer sich für die Geschichte der 24h von Le Mans sowie des Circuit de la Sarthe interessiert, kann diese hier nachlesen.

Alle wichtigen und praktischen Informationen zum Rennen, wie TV-Zeiten und Spotter Guide, sind außerdem in unserem Forum zusammengestellt. Dort gibt es – wie im Vorjahr – auch wieder ein Tippspiel zum 24 Stunden-Rennen (Teilnahmeschluss ist Samstag um 15 Uhr).

Quelle: Toyota
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Quelle: Audi
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