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GT3-Jahresrückblick 2017: A-Zahlen und B-Zahlen

von Philipp Körner
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Zu Beginn des Jahres stellte ich mir eine vermeintlich naive Frage: Welcher Hersteller wird wohl das erfolgreichste GT3-Auto heuer stellen? Natürlich war mir sofort klar, dass Mechanismen wie die Balance of Performance und nicht mal ansatzweise vergleichbare Felder die Resultate verfälschen (wenn nicht sogar stark verzerren) können. Trotzdem begab ich mich zwölf Monate lang auf eine teils beschwerliche Suche nach Pole-Rundenzeiten, schnellsten Rennrunden und (Klassen-)Siegern. Die Ergebnisse mögen zwar nicht gerade überraschend erscheinen, aber sagen doch einiges über den Stand der GT3-Welt aus.

Ausgangslage

Wenn man die GT3 mit einem einzigen Wort beschreiben müsste, könnte man sicherlich Diversität nutzen. Denn zusätzlich zur großen Markenvielfalt umfasst ihr Portfolio alle erdenklichen Kurse, Rennformate und Fahrertypen. Dank dieser Grundlagen hält die Erfolgsgeschichte weiterhin an und könnte trotz gestiegener Fahrzeugpreise noch etliche Zukunftskapitel enthalten.
So oder so ähnlich lautete meine ursprüngliche These, die ich im Vorfeld der 24 Stunden von Dubai festlegte. Um sie mit der Realität abgleichen zu können, erstellte ich drei Listen, die neben Event-Daten drei Kategorien enthalten: schnellste Rennrunde, Pole-Zeit und die siegreiche Nennung.

Bereits das erste Sprint-Event des Jahres führte meine Planungen aber ad absurdum. Die Australian GT war zu Gast im zeitlos schönen Adelaide und feierte ihren Saisonstart mit drei Rennen. Laut meines ersten Konzepts hätte die Tabelle also um drei schnellste Rennrunden anwachsen müssen. Demnach hätte also eine Veranstaltung des Supercars-Rahmenprogramms dreimal so viel Gewicht gehabt wie ein Klassiker des Jahresauftakts (z.B. die 24 Stunden von Daytona). Um diese ungewollte Gewichtung ausgleichen zu können, entschied ich mich schlussendlich dazu, nur noch die schnellsten Zeiten (Pole bzw. Rennen) des Gesamtwochenendes einzutragen. Zudem führte ich die Unterkategorien Sprint und Langstrecke bzw. Endurance ein, was eine nachträgliche Differenzierung ermöglicht.

Nachdem diese Anpassungen vollzogen waren, wuchsen die Listen nahezu jedes Wochenende. Als Datengrundlage fungieren Serien, die GT3-Sport mit professioneller Organisation und medialer Aufbereitung anbieten. Wichtig sind dementsprechend abrufbare Ergebnislisten, Streaming-Angebote, die (inter-)nationale Bedeutung und Felder mit Profi-Teams bzw. -Fahrern. Ein passendes Beispiel für meine Differenzierungsmethode ist in Deutschland zu finden. Die ADAC-GT-Masters-Veranstaltungen erfüllen alle Voraussetzungen und sind ein Hauptbestandteil der Listen. Die DMV GTC erfüllt hingegen viele Punkte, fiel aber aufgrund ihrer eigenen Zielvorstellung als Bindeglied zwischen Profi- und Amateursport aus der Liste. Das ist zweifelsohne eine sehr bedeutende Systemrolle, aber würde zu Problemen in der Erhebung führen.

Mit der Hilfe dieses Rasters identifizierte ich über 15 Serien(-konstrukte), was sicherlich eine ernst zu nehmende empirische Basis liefert:

  • 24H Series
  • ADAC 24h-Rennen sowie das dazugehörige Qualifikationsrennen
  • ADAC GT Masters
  • Asian Le Mans Series
  • Australian GT (ohne die Trophy-Reihe)
  • Blancpain GT Series (Asia; Sprint Cup; Endurance Cup)
  • British GT
  • Gulf 12 Hours
  • FIA GT World Cup
  • International GT Open
  • IMSA SportsCar Championship
  • Le Mans Cup
  • Pirelli World Challenge
  • Super GT (JAF-GT sind virtuell rausgerechnet)
  • Bathurst 12 Hour (via VASC)
  • VLN

Als Ausnahmen seien an dieser Stelle noch die Italienische GT und die Super Taikyu genannt, die aus organisatorischen Gründen nicht aufgenommen werden konnten.

Resultate

Was Anfang Januar noch als kleines Nebenprojekt ins Leben gerufen wurde, umfasst seit dem vergangenen Wochenende 108 Pole-Zeiten, 108 schnellste Rennrunden und 157 Sieger-Nennungen. Jede grafische Aufbereitung der Ergebnisse sieht zwar auf den ersten Blick noch nach einem bunten Mix aus, doch bei genauer Betrachtung gibt es eine große Gemeinsamkeit: die dominanten Marken.

Siegreiche Marken

 

Sprint

Endurance

Wenn man ausschließlich (Klassen-)Siege als Argumentationsgrundlage benutzt, ist ein klarer Schwerpunkt bei den deutschen Herstellern zu erkennen. Alleine Audi, Mercedes und Porsche haben zusammen knapp 50 Prozent aller erfassten Siege (sogar 56,45 Prozent aller Endurance-Siege) eingefahren und konnten vor allem bei den großen Klassikern des Jahres auftrumpfen (Auswahl):

  • Audi R8 LMS: 24 Stunden auf dem Nürburgring; 24 Stunden von Spa-Francorchamps; Petit Le Mans
  • Mercedes AMG GT3: 12 Stunden von Sebring; Long Beach Grand Prix; Suzuka 1000km; FIA GT World Cup
  • Porsche 911 GT3 R: 24 Stunden von Dubai; 24 Stunden von Daytona; 6 Stunden ADAC Ruhr-Pokal-Rennen

Als direkte Verfolger treten die italienischen Marken Ferrari und Lamborghini auf. Die Kampfstier-Marke kann dabei sogar auf zwei Modelle zurückgreifen. Der mit ihrer Erlaubnis gebaute Gallardo R-EX GT3 ist noch in einigen Sprint-Serien anzutreffen und wird in der Australian GT sogar als Sieganwärter gesehen. In der Addition mit dem Huracán GT3, der dank etlicher Titel sein bestes Jahr bislang hatte, ist Lamborghini bemerkenswerterweise der dritterfolgreichste Hersteller (geteilter Platz drei).

Eine mögliche Erklärung für die Resultate dieser Top 5 ist die umfangreiche Verbindung zu den Werken, die ihren Kundensportbereich nachweislich besonders intensiv unterstützen. Sei es nun durch ein halbes Werksteam wie bei Ferrari (vgl. AF Corse/Spirit of Race) oder auch durch ein vielfältiges Konstrukt aus Leihfahrern und Support, welches Audi und Mercedes auf vorbildliche Weise geschaffen haben. Eine Ableitung dessen sind die damit verbundenen hohen Verkaufszahlen und die größeren Markenanteile in den Serien. Dadurch entsteht jedoch der anfangs beschriebene Verzerrungseffekt – die beschriebenen Marken nehmen zusammen nahezu überall einen Großteil der Felder ein.

Doch nicht nur die genannten Hersteller engagieren sich umfangreich im Kundensportkonstrukt. So stellen etliche Fahrzeugbauer werksunterstützte Truppen, welche wie im Falle von McLaren sogar De-facto-Werksteams waren. Ihre verhältnismäßig geringen Anteile lassen sich meist mit kleineren Programmen (vgl. Acura NSX GT3 und Bentley Continental GT3) aber auch veralteten Modellen (vgl. Aston Martin Vantage GT3) genauer beschreiben.

Ein erstes Fazit lautet dementsprechend, dass viel viel bringt. Umfangreich vorbereitete Projekte zeichnen sich folgerichtig durch eine hohe Anzahl an Siegen und verkauften Modellen aus. Neben perfektionistischer Entwicklungsarbeit nehmen Aspekte wie ein tiefer Leihfahrerkader und technischer Support eine wichtige Rolle in diesem Prozess ein. Infolgedessen fußt jedes erfolgreiche Projekt auf Know-how und finanziellen Ressourcen – das kann nicht jeder uneingeschränkt leisten. Das perfekte Fallbeispiel hierfür ist der Lamborghini Huracán GT3. Während er in den Einführungsjahren noch mäßig erfolgreich gewesen ist, sorgte eine verstärkte (finanzielle) Einflussnahme der Italiener für einen großen Schritt nach vorne.

Um diese Daten unterfüttern zu können, lohnt sich nun der Blick in die Welt der Zeiten.

Schnellste Rennrunden

Pole-Runden

Die Verhältnisse sind aus der Perspektive der Zeiten also überraschend ähnlich. Auch hier kann ein deutsches Trio ausgemacht werden, welches durch die Bank weg von Audi angeführt wird. Die Vertreter von Bella Italia gelten ebenfalls als Verfolger und können bei den schnellsten Pole-Runden sogar zusammen die deutsche Top 3 sprengen. Außerdem sind die weiteren Marken auch in dieser Betrachtung weit abgeschlagen. Ein größerer Unterschied ist die Einordnung des Ferrari 488 GT3, der auf der Zeitenjagd glänzen konnte. Laut der Gegenüberstellung von Sprint- und Endurance-Veranstaltungen scheint das neueste Maranello-Modell vor allem bei längeren Läufen aufzublühen. Passende Beispiele hierfür sind sicherlich die überragenden Leistungen bei den 12 Stunden von Bathurst und den 24 Stunden von Daytona / auf dem Nürburgring / von Spa-Francorchamps.

Die Siegerliste und die Zeitenlisten haben damit relevante Übereinstimmungen, die sich hauptsächlich bei Einschätzungen von Kräfteverhältnissen als sinnvoll darstellen. Trotzdem sollte man bei der Interpretation vorsichtig sein. So herrscht bei den Marken eine große Fluktuation (z.B. Ausstieg von Cadillac) und auch die Projekte sind teils komplett verschieden.

Abgleich mit der Ursprungsthese

Doch wie steht es nun um meine anfängliche These? Über die letzten zwölf Monate hinweg hat mich die GT3 vor allem eines gelehrt: noch intensiver zu differenzieren. Während einige Serien boomen, scheinen andere GT3-Ableger zu kollabieren. Neben sehr vielfältigen Feldern gibt es Startaufstellungen, die von zwei bis drei Marken dominiert werden. Mal gelingt die Balance of Performance ziemlich gut, mal scheiterten die technischen Kommissionen grandios. Gleiches gilt auch für die Regelmacher der Szene. Der große Vorteil dieser teils gegensätzlichen Entwicklungen ist, dass die Szene organischer und lernbereiter wirkt. Auf diesem Weg scheint das Entstehen einer vielfach gefürchteten GT3-Blase unwahrscheinlicher.

Diversität/Markenvielfalt: Dass die GT3-Landschaft ziemlich vielfältig sein kann, habe ich spätestens bei der nervig-intensiven Farbauswahl der Grafiken merken müssen. Die wohl wichtigste Schlussfolgerung diesbezüglich ist, dass Marken es immer noch als sinnvoll erachten, GT3-Projekte zu etablieren. Neben traditionellen Stammkräften wie Audi und Porsche gibt es auch weiterhin neue Gesichter, die sich langfristig einfügen wollen (z.B. Acura bzw. Honda). In den nächsten Jahren werden uns somit noch einige neue Modelle und Evokits erwarten.

Unterschiedliche Kurse: Auch dieser Aspekt der These kann anhand der Daten abgenickt werden. Das Leistungsfenster von GT3-Fahrzeugen macht es anhaltend möglich, eine große Anzahl an Streckenklassen abzudecken. Neben den Grand-Prix-Kursen mit ihren weitläufigen Auslaufzonen finden sich etliche Traditionskurse wie Macau, Bathurst oder der gesamte Nürburgring im Portfolio, die dank der GT3 ein weiteres Jahreshighlight hinzugewonnen haben. Besonders eindrucksvoll ist dies im australischen Bathurst zu sehen, wo die 12 Stunden fortwährend boomen. Trotzdem zeigte sich in diesem Jahr aber auch, dass das pure Ansetzen einer GT3-Veranstaltung nicht mehr ausreicht und die Teilnehmer höhere Ansprüche an die Veranstalter und Organisatoren richten. Dieser Erkenntnis fielen schlussendlich die 12 Stunden von Sepang zum Opfer und auch die 8 Stunden von Laguna Seca stehen bereits jetzt auf der Kippe.

Unterschiedliche Rennformate: Bereits in den Grafiken war zu sehen, dass Langstreckenrennen und Sprint-Läufe relativ balanciert ausgetragen werden. Was in den Schaubildern natürlich nicht zu erkennen war, ist die große Vielfalt der Langstrecke. Neben den dominierenden 12- und 24-Stunden-Rennen sind auch Formate zwischen zwei und acht Stunden äußerst beliebt. Aus der sportlichen Perspektive werden die gefühlten Hybridformen beider Renngattungen immer sehenswerter. Als Beispiel seien die 3h-Läufe des BGTEC genannt, welche wie drei Sprint-Rennen nacheinander aufgezogen sind.

Unterschiedliche Fahrertypen: Durch die Einordnung als Kundensportkonzept ist ein bunter Mix mit Fokus auf Amateure in vielen Serien obligatorisch, denn die Herren- und Damenfahrer sind zweifelsohne das (finanzielle) Rückgrat der erweiterten Szene. Selbiges wird mit der Hilfe von Klassen und/oder Kombinationsregeln weiterhin forciert und das ist auch sinnvoll.

Finanzlage: Dies ist wahrscheinlich der schwierigste Punkt meiner Analyse, da hier Insider-Perspektiven nötig wären. Grundsätzlich scheinen die meisten Serien und Veranstaltungen gut aufgestellt zu sein, wenn man Felder und Zuschauerzahlen als Indikatoren nutzt. Dementsprechend scheint der universelle Mix noch zu stimmen und auch die nachweislich gestiegenen Fahrzeugpreise haben keinen großen Einbruch provoziert. Andererseits sind wir noch im zweiten Jahr der Einführung der neuesten GT3-Generation und Abschwächungsprozesse wie bei der vorangegangenen Generation sind vorstellbar. Immerhin gibt es mit der florierenden GT4 nun einen ernsthaften Unterbau, der finanzschwächere Teams in der GT-Szene halten kann und im Notfall auch die Felder auffüllen würde. Die häufig gefürchtete Konkurrenzrolle halte ich für eine zu einfache Darstellung. Serien wie die British GT und die Blancpain GT Series Asia zeigen eindrucksvoll auf, dass man eher von Komplementärgütern sprechen sollte.

Abschließendes Fazit

Das GT3-Jahr 2017 hat uns verwöhnt. Die großen Klassiker waren so spannend und intensiv wie selten zuvor und die Sprint-Meisterschaften geizten ebenfalls nicht mit furiosen Saisonabschlüssen. Noch scheint die GT3 also das Erfolgsprojekt sein zu können, das der Motorsport dringend braucht. Exotische Autos, engagierte Marken, Rennen in Traditionsmärkten und begeisterte Fans formen die Identität der FIA-Gruppe und schaffen Raum für Emotionalität. Egal ob „main act“ oder stabile Klasse – sie kann beides. Diese Mischung trägt demnach noch viele erfolgreiche Jahre in sich, doch schon in diesem Jahrzehnt müssen die Weichen für die Zukunft gestellt werden. Die GT-Szene hat 2017 eine hohe Dynamik entwickelt (vgl. GT4-Boom und mögliche GT-LMP1) und sieht größere Revisionen auf sich zukommen. Diesen wird sich die GT3 ohne Zweifel stellen müssen.

Bilderquelle/Copyright: Blancpain GT Series (SRO); Porsche Motorsport; IMSA; Supercars

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