Wie schon in Melbourne ist in dieser Saison der wichtigste Faktor bei strategischen Entscheidungen die Tatsache, dass die neuen Pirelli-Reifen viel schneller abbauen als die in den vergangenen Jahren verwendeten Bridgestones, ebenso wie die Tatsache, dass sobald sie anfangen abzubauen, die Leistung sehr schnell und stark abfällt. Somit war es am Sonntag der Schlüssel zum Erfolg, zu reagieren und rasche Entscheidungen zu fällen.
Von James Allen
„Ein wichtiger Teil ist es, die Strategie richtig hinzukriegen, und das ist Sache des Teams aber auch des Fahrers,“ so Jenson Button nach dem Rennen.
Doch der bewegbare DRS-Flügel und der Unterschied zwischen Wagen mit und ohne KERS war zusätzlich ein weitaus signifikanterer Faktor für den Ausgang des Rennens als noch in Lauf 1. Auf Sepangs langen Geraden war das Überholen relativ einfach, besonders für Wagen mit KERS, und das trug zum strategischen Denken bei.
Aufbauend auf den Daten aus Melbourne funktionierten die Strategien mehr oder weniger so wie die Simulatoren es vorhergesagt hatten. Wir sahen eine Mischung aus Zwei-, Drei- und Vier-Stop-Strategien. Wer wie Mark Webber vier Stops eingelegt hatte, benutzte im Rennen fünf Reifensätze, bei einer Gesamtzahl von insgesamt sechs Sätzen in Qualifikation und Rennen zusammen.
Die Gesamtzeit für einen Boxenstop betrug gerade 21 Sekunden, sieben Sekunden weniger als in Melbourne. Wenn man also frei fahren konnte, waren drei Stops die schnellste Alternative für Sepang. Aber so richtig hatte diesen Luxus nur Rennsieger Sebastian Vettel zur Verfügung. Für die meisten anderen Fahrer bedeuteten drei Stops unweigerlich, dass sie irgendwann beim Verlassen der Boxengasse mitten im Verkehr landeten. Ein Auto auf älteren Reifen überholen zu können war in solchen Momenten von grösster Bedeutung um seine Strategie zum Funktionieren zu bringen, und davon sahen wir eine ganze Menge, so zum Beispiel von Hamilton gegen Petrov in Runde 26.
Alle drei Erstplatzierten benutzten leichte Abwandlungen derselben Drei-Stop-Strategie, mit weichen Reifen für die ersten drei Stints und dann harten Reifen für den letzten Stint. Das war die Siegstrategie, aber es gab reichlich Variationen.
Die höchste Temperatur hatte die Strecke mit 54 Grad am Freitag, und das bewirkte zwei Dinge: es veränderte die Einstellung der Leute hinsichtlich des Reifenabbaus, was einige zur Planung von kürzeren Stints und mehr Boxenstops veranlasste, und es liess sie ausserdem glauben, dass der harte Reifen bedeutend länger halten würde und eine Sekunde langsamer sei als der weiche. Doch Mark Webbers Long Run am Samstag Morgen lieferte ein treffendes Gegenargument für all jene, die darauf zu wetten bereit waren ob ein Satz harter Reifen 18 Runden oder länger halten würde.
Saubers Kamui Kobayashi schaffte es, das Rennen mit nur zwei Stops zu absolvieren, wobei ein Satz weicher Reifen 19 Runden und ein Satz harter Reifen 20 Runden hielt. Auch Williams hatte für beide Autos zwei Stops eingeplant. Um sowas in Erwägung zu ziehen musste man in der Lage sein, minimal 18 Runden pro Reifensatz fahren zu können. Das kann nicht jeder.
Lewis Hamilton: Entscheidungen der Teamstrategie in Frage gestellt
Lewis Hamilton stellte nach dem Rennen einige Entscheidungen seines McLaren-Teams in Frage. Er war der Meinung, für einige seiner Stops zu früh reingeholt worden zu sein, was unter Anderem dazu beigetragen habe, dass er einen vierten Stop zu absolvieren hatte – auf seinen eigenen Wunsch hin, gerade mal vier Runden vor Rennende. Hätte er bei seinen ersten beiden Stints ein wenig länger draussen bleiben können, dann hätte sich der letzte vermeiden lassen. Das Team argumentierte dagegen, er habe zu Beginn des Rennens mit der aggressiven Fahrweise bei der Aufholjagd auf Vettel seine Reifen aufgebraucht. Dies zeigt, wie fein abgestuft die Entscheidungsfindung ist, und wie ein paar Runden mehr in den frühen Stints dann am Ende des Rennens den grossen Unterschied ausmachen können.
Hamilton fiel zudem einem langsamen Boxenstop in Runde 37 zum Opfer, durch den er einen Platz an seinen Teamkollegen Jenson Button verlor. Was ein zweiter Platz hätte werden können, wurde am Ende ein achter Platz.
Beim Start verlor Hamilton einen Platz an Nick Heidfeld, den er nicht wieder überholen konnte weil der Renault an der Geschwindigkeitsmessung das schnellste Auto war.
Im ersten Stint an dritter Stelle liegend kam er relativ früh in Runde 12 zum Boxenstop rein. Er nahm dabei einen zweiten Satz weicher Reifen auf und rutschte damit an Heidfeld vorbei, der zwei Runden später stoppte. Nun auf Rang zwei liegend schloss Hamilton auf den führenden Vettel auf, und hatte bis Runde 23 den Abstand von neun auf 3.9 Sekunden verkürzt. Anscheinend war das Team der Ansicht, er habe dabei den Reifen zuviel zugemutet, was ihm später schaden würde. Man könnte auch argumentieren, dass dies sowieso ein sinnloses Unterfangen war, da Vettel seinen Wagen offensichtlich überhaupt nicht forderte und, falls nötig, zu jeder Zeit noch schneller hätte fahren können. Doch Hamilton ist ein Racer, und so fuhr er wie er fuhr.
Immer noch auf Vettel aufholend kam er in Runde 24 zu seinem zweiten Stop rein, seiner Meinung nach zu früh, und sieht man sich die Rundenzeiten an kann man zu dem selben Schluss kommen. Jetzt bekam er harte Reifen.
Warum haben sie das gemacht? Aus mehreren Gründen: Hamilton hatte in der Qualifikation einem Satz weicher Reifen einen Bremsplatten verpasst, hatte also weniger weiche Reifen noch zur Verfügung als andere. Doch das Team bemerkte auch das Beispiel von Adrian Sutil im Force India, der zu diesem Zeitpunkt auf harten Reifen unterwegs war und dabei etwas schneller fuhr als sein Teamkollege Paul di Resta auf weichen.
Und wer es bemerkt hatte: Webber hatte am Samstag Morgen einen Long Run auf harten Reifen absolviert und war dabei sehr schnell. Harte Reifen schienen also gar keine so schlechte Idee zu sein.
Es war klar dass Hamilton versuchte, einen Drei-Stop-Plan zum Funktionieren zu bringen, doch er verlor bei diesem zweiten Stop Zeit und kämpfte anschliessend mit der Balance des Fahrzeugs auf harten Reifen und verlor dadurch jetzt zunehmend an Boden. Bei einer Kollision mit Fernando Alonso wurde der Unterboden des Wagens beschädigt. Nach dem Boxenstop in Runde 37 sah er sich nicht in der Lage, mit den harten Reifen 19 Runden bis zum Ziel durchzufahren. Obwohl er Rundenzeiten im Bereich von 1:43 hinlegte, glaubte er, nochmals stoppen zu müssen, und dabei verlor er dann Plätze an Heidfeld, Webber, Massa und Alonso. Eine kostspielige Entscheidung.
Im Gegensatz dazu schaffte es Button, seinen Satz harter Reifen 18 Runden lang durchhalten zu lassen, und sie waren noch bis zum Ende für schnelle Zeiten gut.
Mark Webber: Zick während die anderen Zack machen
In Melbourne machte Mark Webber eine Sache anders als der Rest: dreimal stoppen während die Formel zum Sieg zwei Stops waren. In Malaysia versuchte er das erneut, obwohl er im schnellsten Auto des Feldes sass. Warum also hat er Probleme mit der Strategie, während Teamkollege Vettel vorne spazieren fährt?
In Melbourne lag es daran dass er härter mit den Reifen umgeht als Vettel. In Sepang gab es weitere Gründe. Webbers Rennen war durch einen schlechten Start aufgrund eines Kupplungsproblems und fehlendem KERS kompromittiert. Sobald das Feld 100km/h erreicht hatte (der Punkt ab dem man KERS einsetzen kann) flogen Fahrzeuge von hinten an ihm vorbei – Massa, Alonso, Heidfeld, Petrov und Schumacher. Von Platz drei in der Startaufstellung fiel er innerhalb der ersten Runde auf neun zurück, und war zehnter in Runde drei, als Kobayashi in passierte.
Ohne die Hilfe von KERS beim Überholen zu haben, waren er und sein Ingenieur gezwungen, sich etwas anderes einfallen zu lassen. Machten sie das gleiche wie alle anderen, so die Überlegung, würden sie am Ende neunter werden. Also entschieden sie sich am Ende der ersten Runde, von einer Drei- auf eine Vier-Stop-Strategie zu wechseln. Das versetzte ihn in die Lage, in vier von fünf Stints Druck zu machen – er verlor im ersten Stint viel Zeit hinter Kobayashi, der pro Runde zwei Sekunden langsamer fuhr als der Führende Vettel. Doch mit einem Auto wie dem Red Bull schaffte Webber es vorbei, sobald er in sauberer Luft fahren konnte.
Es zahlte sich insofern aus dass er sich wieder verbessern konnte und am Ende vierter wurde. Diese Strategie, mit der er entweder freie Strecke zum Fahren oder nach seinem Stop frische Reifen zum Überholen hatte, half ihm dabei, letztendlich vor Kobayashi, Schumacher, Petrov und Massa ins Ziel zu kommen. Auf neuen Reifen lieferte er einige tolle Maneuver ab. Allerdings halfen ihm auch Hamiltons und Alonsos Probleme.
Kobayashi: Sauber lässt die Reifen wieder halten
Kamui Kobayashi schaffte am Sonntag etwas ziemlich bemerkenswertes. Er konnte ein schnelles Rennen fahren und dabei andere Fahrzeuge auf spektakuläre Weise überholen, während er zur selben Zeit seine Reifen soweit schonte dass er mit einer Zwei-Stop-Strategie auskam. Und das war ziemlich beeindruckend.
Angesichts der Leistung von Sergio Perez in Melbourne, wo er Plätze gutmachte weil er nur einmal stoppte, hatten einige Teams die Idee im Kopf, in Sepang nur ein Minimum von zwei Stops zu machen. Der Reifenabbau war zu stark um nur einen einzigen Stop in Erwägung zu ziehen. Die Rundenzeiten würden plötzlich abfallen und das wäre kostspielig. Kovalainen, Glock und Alguersuari bekamen es hin, aber am Effektivsten war Kobayashi, der aus einem Start von Platz zehn eine Zielankunft auf Platz sieben machte.
Allerdings war dies eher eine Überlebensstrategie seitens Kobayashi als irgendetwas sonst. Mit seinem ersten Satz Reifen sollte er bis Runde 17 fahren, doch seine Pace war im ersten Stint nicht besonders gut. Im mittleren Stint wieder auf den weichen Reifen fuhr er gegen Michael Schumacher, der auf einer Drei-Stop-Strategie war. Mit seinem letzten, harten Reifensatz war er dann gut unterwegs und schaffte darauf 20 Runden. Er kam an Schumacher vorbei als der seinen dritten Stop einlegte. Er gewann noch einen Platz als Lewis Hamilton nach dem Rennen bestraft wurde.
Übersetzung: nona
1 Kommentare
Sehr schöne und ausführliche Analyse von James Allen (danke, Don, daß du es möglich gemacht hast!) –
„Bei einer Kollision mit Fernando Alonso wurde der Unterboden des Wagens (von Hamilton, Anmerkung des Verfassers) beschädigt“ – Ich habe gesehen, daß Alonso sich die linke Endplatte des Frontflüges am rechten Hinterrad von Hamilton abgefahren hat… Wie durch diesen Vorfall, (der mMn ein „normaler“ Renn-Unfall / ~Vorfall gewesen ist und keine Strafe hätte nach sich ziehen dürfen) der Unterboden von dem vorausfahrenden Hamilton beschädigt werden konnte, ist für mich ein Rätsel…
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