Am Sonntag steht das sechste Saisonrennen der NASCAR an, gefahren wird auf dem kürzesten Kurs des ganzen Jahres – dem Shorttrack in Martinsville. Traditionell gewinnen hier seit Ende 2006 entweder Jimmie Johnson oder Lokalmatador Denny Hamlin. Lediglich im letzten Jahr konnten Kevin Harvick und Tony Stewart Letzeren das Zepter aus der Hand reißen.
Der Martinsville Speedway atmet Tradition pur, denn er ist schon seit der allerersten NASCAR-Saison 1949 durchgängig im Kalender vertreten. Das Halbmeilen-Oval ist noch einmal 11m kürzer als der Shorttrack in Bristol und mit 12° in den Kurven relativ gering überhöht. Seiner charakteristischen Form verdankt Martinsville auch den Spitznamen „The Paperclip“ – zu deutsch: „Büroklammer“ – denn irgendwie sieht der Speedway aus, als hätte jemand auf einem Großparkplatz im Abstand von 300 Metern zwei Pylonen aufgestellt, um welche die Meute ihre Autos über 500 Runden prügeln muss. Der wichtigste Faktor am Wochenende sind dabei sicherlich die Bremsen.
Denn wer versucht, Martinsville wie eine Rundstrecke zu fahren, der wird sich nach spätestens 400 Runden mit den rauchenden Resten seiner Bremsbeläge in die nächste Mauer verabschieden. Das geringe Banking in den beiden 180°-Kurven reicht einfach nicht aus, um die hohen Geschwindigkeiten am Ende einer Gerade mit in die Turns zu nehmen. Einen kleinen Exkurs zu dieser Thematik und zum Kurvenfahren in Martinsville kann man auch in der verlinkten Streckenbeschreibung finden. Da es jedoch ein ganzer Absatz ist, zitiere ich den nachfolgend auch in diesem Artikel:
„Wichtig sind in Martinsville vor allem die Bremsen, die man in den ersten 300-400 Runden doch extrem schonen sollte. 500 Runden unter Volllast halten die später rot-glühenden Scheiben nicht durch, denn es sind immerhin 1000 Bremsmanöver zu absolvieren. Wer nicht nach 400 Runden ins Leere treten will, sollte die richtige Strategie für eine Fahrt durch die engen Turns wählen: Früh vom Gas gehen, den Wagen mit möglichst viel mitgebrachter Geschwindigkeit durch die Kurve rollen lassen ohne dass man auf dem Gas steht und dann kurz nach dem Scheitelpunkt das Gaspedal, soweit es der Grip zulässt, voll auf das Bodenblech drücken. Diese Strategie heißt im Allgemeinen „roll through the center“ und bei den TV-Übertragungen bekommt man diesen Ausdruck auch besonders oft zu hören. All das impliziert erstens die Notwendigkeit von viel mechanischem Grip, um in den Kurven beim Rollen nicht aus der Bahn geworfen zu werden und im Kurvenausgang kein Übersteuern zu erleiden. Zweitens muss der Motor über ein hohes Drehmoment verfügen, um im Kurvenausgang viel Speed mit auf die Geraden zu nehmen; am besten mal auf den Splitter achten, der sich beim Beschleunigen und Bremsen viel hoch und runter bewegt. Die restliche Aerodynamik spielt anders als z.B. in Charlotte in Martinsville keine größere Rolle.“
Im Gegensatz zum zuletzt durchaus umstrittenen Bristol sind in Martinsville eben keine zwei gleichwertigen Fahrlinien vorhanden, da es kein progressives Banking gibt. Die äußere Linie ist normalerweise im Nachteil, es sei denn ein Auto liegt wirklich besonders gut. Hier kommt also wieder verstärkt die klassische und sehr beliebte Form des „Bumping & Banging“ zur Anwendung: Macht ein (überrundeter) Konkurrent dem schnelleren Verfolger nicht nach spätestens einer Runde freiwillig Platz, wird mit einem kleinen, aber niemals böswilligen Schubser im Kurveneingang nachgeholfen, welcher den Vordermann auf die obere Linie zur Seite drückt.
Da trifft es sich gut, dass wir am Wochenende wieder unseren Shorttrack-Neo-Spezialisten Brian Vickers im Fahrerfeld haben, der bei Michael Waltrip Racing erneut Re-Teilzeit-Pilot Mark Martin vertritt. In Bristol konnte er die Performance der diesjährigen MWR-Toyotas schon mit vielen Führungsrunden und einem Top5-Ergebnis andeuten. In Martinsville könnte sich diese gute Leistung fortsetzen, wobei er vermutlich aber weniger Gegenliebe erfahren wird, als er sich erhofft: Im letzten Chase-Rennen auf diesem Shorttrack war Vickers immerhin für 6 der insgesamt 18(!) Cautions verantwortlich oder an ihnen beteiligt. Das ein oder andere Revanche-Foul scheint da schon vorprogrammiert zu sein.
Die hohe Anzahl an Gelbphasen ist aber eher ungewöhnlich, im Normalfall kommt das Rennen um die Halbzeit herum in einen guten Fluss und wartet dann erst spätestens 50 Runden vor Schluss mit einem meist sehr spannenden Finish auf. Die 500 Umläufe von Martinsville sind aber wesentlich zäher als beim Vergleichs-Oval Bristol, da die Durchschnittsgeschwindigkeiten eben auch viel niedriger sind. Während Bristol meist in maximal drei Stunden gegessen ist, muss man für Martinsville immer 3,5 bis 4 Stunden einplanen. Da gab es seit 2007 auch keine Ausnahme der Regel, der Mittelwert liegt dementsprechend bei 3:39:16 Stunden Renndauer seit Einführung des CoT!
Außer Vickers sollte man am Wochenende noch sehr genau auf Denny Hamlin (4) und Jimmie Johnson (5) schauen, denn diese beiden Fahrer haben zwischen Ende 2006 und 2011 alle neun Martinsville-Ausgaben brüderlich unter sich aufgeteilt. Erst im letzten Jahr konnten dann Kevin Harvick und zuletzt der spätere Meister Tony Stewart im Rahmen seiner Super-Serie zurückschlagen und den beiden Dominatoren das Zepter aus der Hand reißen. Sowohl Johnson als auch Hamlin kamen aber zumindest beim Chase-Rennen ebenfalls in den Top5 ins Ziel. Für beide Fahrer ist es also die perfekte Gelegenheit, nach einem teils harzigen Saisonauftakt wieder einen Sieg einzufahren; Hamlin zeigte sich nach seinem Erfolg in Phoenix zuletzt ja eher wieder in schwächerer Form, auch wenn er in Fontana zeitweise führte.
Auch die beiden 2011er-Victory-Lane-Besetzer sind auf Shorttracks immer gefährlich: Kevin Harvick zeigte in diesem Jahr bisher ausschließlich Top11-Ergebnisse und wurde damit wieder einmal seiner traditionell sehr konstanten Fahrweise gerecht. Tony Stewart ist momentan nach zwei Saisonsiegen sicherlich nur noch zu beneiden, gerade von Seiten der Werkstruppe von Hendrick Motorsports, wo Jeff Gordon und Kasey Kahne noch um einiges zulegen müssen! Dale Earnhardt Jr zeigt im Team von Rick Hendrick derzeit, wie es laufen könnte, wobei aber noch der langersehnte Rennsieg fehlt. In Martinsville erwarte ich ihn neben Stewarts Teamkollegen Ryan Newman unterdessen in den Top10, immerhin gelang Letzterem das in der Hälfte aller CoT-Rennen dort, während Junior sogar eine Top10-Quote von 70% erreicht hat.
Für Ford war Martinsville bisher überhaupt kein gutes Pflaster, nach einem Sieg sucht man in den letzten zehn Jahren vergebens und selten kommen Fahrer von Roush-Fenway Racing auf diesem Shorttrack in die Top10. Vielleicht kann aber Marcos Ambrose den Hersteller würdig vertreten, bei ihm hatte ich zuletzt immer den Eindruck, dass er dort ganz gut zu Recht kam, wenn er denn nicht in eine Massenkarambolage verwickelt wurde.
Im Toyota-Lager bin ich nach wie vor noch nicht so richtig von Joe Gibbs Racing überzeugt, auch wenn man zuletzt in Fontana ein gutes Rennen zeigte. Bei Kyle Busch ist es auf den Shorttracks ja immer so ein wenig nach dem Motto „Hop oder top“: Entweder er kommt in den Top5 an oder er zerlegt seinen Wagen vorzeitig. Hamlin könnte jedoch gegen die allgemeine Performance halten und in Martinsville gewinnen, was er ja zur Genüge bewiesen hat. Ich sehe auf dem kurzen Oval wieder eher Michael Waltrip Racing vorne, wo Clint Bowyer und Martin Truex Jr als Vollzeitfahrer dieses Jahr eine ordentliche Leistung abliefern.
Alles in allem ist eine Stärkeeinschätzung in der NASCAR natürlich niemals leicht und so könnte sich auch am Wochenende wieder eine völlig neue Situation entwickeln; die Leistungsdichte ist einfach zu gering momentan. In Fontana habe ich mich mit meinem Ford-Tipp ja auch schon ziemlich verspekuliert.
Zum Abschluss folgen an dieser Stelle wie gewohnt noch die Links (PDF) zu den aktuellen Ständen in der Fahrer- und Owner-Wertung sowie die Entry-List und ein Zeitplan für das Wochenende:
Die Nationwide Series macht eine kleine Pause und ist gemeinsam mit dem Cup in zwei Wochen wieder am Start, nach der Oster-Freizeit geht es dann nämlich auf das Intermediate-Oval von Texas. In Martinsville sind aber dafür die Trucks mal wieder mit dabei, die seit dem Saisonbeginn in Daytona ja gar nicht mehr gefahren sind.
Ausstrahlungsdaten
Freitag, 30.03.
17:00 Uhr, Truck Series Practice, nicht im TV
18:30 Uhr, Sprint Cup Series Practice, SPEED
20:00 Uhr, Truck Series Final Practice, SPEED
21:30 Uhr, Sprint Cup Series Final Practice, SPEED
Samstag, 31.03.
16:00 Uhr, Truck Series Qualifying, SPEED
17:30 Uhr, Sprint Cup Series Qualifying, SPEED
19:00 Uhr, Truck Series Rennen (Kroger 250), SPEED
Sonntag, 01.04.
19:00 Uhr, Sprint Cup Series Rennen (Goody’s Fast Relief 500), FOX