Die 500-Meilen von Indianapolis 2021 schaffen es in vielerlei Hinsicht in die Geschichtsbücher. Der vierte Sieg von Helio Castroneves ist nur die Spitze der Einträge. Er steht jetzt auf einer Stufe mit A.J. Foyt, Al Unser und Rick Mears.
Phantastisch waren die vielen Zuschauer im IMS. Motorsport ist eigentlich eine der Sportarten, bei denen das Fehlen der Zuschauer weniger eine Rolle spielt. Geisterspiele im Fußball sind zum Beispiel für mich am Fernseher nur sehr schwer ertragbar. Ohne die richtige Atmosphäre im Stadion ist das doch ziemlich langweilig. Motorsport lebt dann doch mehr von der Aktion auf der Strecke und weniger auf den Tribünen. Als aber Sonntag Conor Daly die Führung übernahm und die Zuschauer für ihren Local-Boy regelrecht explodierten, war das ein Gänsehautmoment. Und die Feier von Helio Castroneves kann man sich vor leeren Tribünen gar nicht vorstellen. So war es der perfekte Abschluss eines fast perfekten Tages.
Bei einem Rennen über 500 Meilen spielt die Strategie eine entscheidende Rolle. Die von Top-Favorit, Pole-Sitter und amtierenden Meister Scott Dixon war diese von der ersten Runde an klar zu erkennen: Die jungen Wilden sollen sich an der Spitze austoben und er würde „gemütlich“ in den Top-5 Benzin sparen und Material schonen. Auf diese Art und Weise hätte er im Vorjahr fast gewonnen. Um mit 5 Stopps durch das Rennen zu kommen, musste man halt Stints über durchschnittlich 33 Runden absolvieren. Dixon ließ also erst Colton Herta vorbei und eine halbe Runde später auch Rinus VeeKay. Der Niederländer übernahm in Runde 2 auch die Führung und sollte sie bis zu den ersten Stopps auch halten. Durch die Kombination von Benzinsparen des Führenden und dem Windschatten blieb das Feld dich beisammen.
Der Preis von 29 Führungsrunden musste Rinus VeeKay dann in Runde 31 zahlen und zum Stopp in die Box kommen. Ihm folgten bis Runde 33 eine Reihe von Fahrern unter anderem auch Colton Herta. Der etwas frühe Stopp sollte aber in diesem Fall ein Vorteil sein. Stefan Wilson rutschte mit blockierenden Reifen in die Boxengasse und schlug zum Glück in die äußere Mauer ein. Innen standen schon die Mechaniker von Will Power bereit. Dieser Unfall führte zur ersten Caution und natürlich auch zu einer geschlossen Boxengasse. Einige Fahrer mussten aber zu einem Notstopp an die Box kommen. Das bedeutete zwei Dinge: Zum einen darf beim Notstopp nur Aufgetankt werden, sodass ein weiterer Stopp zum Reifenwechsel nötig wird, zum anderen muss man als Strafe den Restart am Ende des Feldes in Angriff nehmen.
Zu den Notstoppern gehörten auch Scott Dixon und Alexander Rossi. Beide traf es aber noch härter. Ihre Honda-Motoren waren komplett trocken gelaufen und sprangen so nicht wieder an. Beide verloren eine Runde. Insgesamt wurde das Feld etwas durchmischt. Conor Daly wurde auf Platz 3 nach vorne gespült. Auch Pato O’Ward, Takuma Sato, Scott McLaughlin und Graham Rahal tauchten nun in den Top-10 auf. Die Führungsrolle im zweiten Stint übernahm Conor Daly vor Rinus VeeKay, der in Runde 68 die nächste Boxenstoppsequenz eröffnete.
Alexander Rossi und Scott Dixon gingen ihre Mamut Aufgabe im Hinterfeld ganz unterschiedlich an. Dixon blieb bei seiner Sparen-Strategie. Er hoffte auf eine günstig fallende Caution und maximale Schadenbegrenzung. Rossi hingegen fuhr aggressiver, überholte einige Wagen und verlor dabei in Runde 59 fast seinen Wagen. König der Sparer war aber Graham Rahal. Er kam erst in Runde 81 wieder an die Box und lag danach auf Platz 8. Das war eine hervorragende Ausgangsposition für das restliche Rennen.
In die Spitzengruppe hatte sich neben Conor Daly, Rinus VeeKay, Colton Herta nun auch Pato O’Ward gefahren. Auffällig unauffällig waren dahinter die ehemaligen Sieger Ryan Hunter-Reay, Helio Castroneves und Takuma Sato, sowie Alex Palou, Graham Rahal und Josef Newgarden unterwegs. Pünktlich zur Rennhalbzeit eröffnete Newgarden die nächste Runde an Stopps. Bei Team Penske splittete man die Strategie der vier Wagen. Die beiden schnellsten, Newgarden und Scott McLaughlin, bildeten die beiden extremen aus frühem und spätem Stopp, während Simon Pagenaud und Will Power einen Mittelweg bestritten. Die beiden letztgenannten hatten sich von ihren schlechten Startpositionen derweil ins Mittelfeld (Plätze 15 und16) vorgekämpft. McLaughlin unterlief bei dem Stopp aber sein erster großer Fehler in der IndyCar-Series. Er war zu schnell in der Boxengasse und wurde mit einer Drive-Through-Penalty belegt.
Auffällig waren die vielen Probleme der Fahrer in der Boxengasse. Den Anfang hatte Stefan Wilson gebildet. Später drehten sich auch noch Will Power und Simona de Silvestro beim Anbremsen. Ryan Hunter-Reay rutschte mit blockierten Rädern durch die Lichtschranken und war so zu schnell. Fast alle berichteten von fehlendem Bremsdruck zu Anfang. Die IndyCar sollte dringend prüfen, ob die Teams da nicht etwas zu sehr ihre Bremsanlagen getunt haben.
Den Abschluss aller Fahrer bildete natürlich wieder Graham Rahal. Beim Stopp verpasste der Mechaniker es aber das linke Hinterrad festzuziehen. Beim Beschleunigen aus der Boxengasse heraus löste es sich von der Aufnahme. Rahal rutschte quer vor dem heranstürmende Feld über die Strecke und schlug in die Mauer ein. Das weckte Erinnerungen an den schrecklichen Unfall von Alex Zanardi auf dem Lausitzring. Dieses Mal hatten aber alle Fahrer und Zuschauer Glück. Das herrenlose Rad traf genau die Nase von Conor Dalys Wagen und wurde ins leere Infield katapultiert.
Scott Dixon hatte, im Gegensatz zu Alexander Rossi, seinen regulären Stopp noch nicht absolviert und gelang so wieder in die Führungsrunde. Bei nur noch 80 Runden und der Position am Ende des Feldes war eine Topplatzierung alleine über den Speed aber nicht mehr zu erreichen. Bei Chip Ganassi Racing trieb man die Sparen-Strategie nun auf die Spitze und wollte mit nur noch einem Stopp das Ziel erreichen. Eine günstige Caution hätte vielleicht wieder den Sieg in greifbare Nähe gebracht. Mit einer schlechteren Ausgangslage versuchten dies auch Takuma Sato und Felix Rosenqvist. Eine Sonderrolle nahm Scott McLaughlin ein, der von Team Penske einen Spezialauftrag bekommen hatte.
Mit dem Restart in Runde 125 begann die heiße Phase des Rennens. Helio Castroneves übergab freiwillig die Führung an Pato O’Ward und Alex Palou. Rinus VeeKay und Josef Newgarden schlossen die Top-5 ab, mussten beide aber später massiv Benzinsparen. Es folgte mit Ryan Hunter-Reay und Colton Herta ein Andretti-Duo vor Simon Pagenaud, der nun zum ersten Mal in den Top-10 auftauchte. Für alle stand noch zwei Boxenstopps an. Takuma Sato, auf seiner speziellen Strategie, und Conor Daly, der mit seiner angebrochenen Nase nicht mehr ganz den Speed hatte, komplettierten die Top-10.
Über die nächsten zwei Stints verloren Rinus VeeKay, Josef Newgarden und Colton Herta im Sparmodus einige Plätze. Colton Herta verlor zusätzlich auch noch die Balance im Auto. In Summe warf ihn dies aus den Top-15. Ryan Hunter-Reay verabschiedete sich mit seinen Bremsproblemen bis ans Ende des Feldes. Bis Runde 180 hatten alle Fahrer, bis auf ein paar Ausnahmen, ihre Stopps absolviert. In Führung lagen Felix Rosenqvist, JR Hildebrand und Takuma Sato, die aber noch zur Box mussten, oder eine sehr lange Caution am Rennende für eine Topplatzierung gebraucht hätten. Eine halbe Runde Rückstand hatte ein Trio aus Alex Palou, Helio Castroneves und Pato O’Ward, die die virtuelle Führung unter sich ausfuhren. Mit fast 4 Sekunden Rückstand folgte Simon Pagenaud. Dazwischen lag aber noch Scott McLaughlin, der nun seine Sonderrolle ausfüllte. Er zog Pagenaud in seinem Windschatten nach vorne und in Runde 186 war er am Heck von O’Wards Dallara.
Mit den Stopps von Hildebrand, Rosenqvist, McLaughlin und Sato war der Vierkampf um den Sieg eröffnet. Alex Palou machte einen sehr starken Eindruck und führte die Gruppe die meiste Zeit an. In Runde 194 probierte Helio Castroneves, was möglich ist, und zog locker außen in Kurve 1 an Palou vorbei. In Runde 196 holte sich Palou die Führung zurück. Mit dem Schwenken der weißen Flagge für die letzte Runde wiederholte Castroneves aber sein Manöver in Kurve 1 und übernahm die Spitze. Etwas spannend wurde es noch durch einige Fahrer, die zur Überrundung anstanden. Helio Castroneves blieb ruhig hinter Ryan Hunter-Reay und fuhr seinen vierten Sieg ein. Mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 190.690 mph (ca 307 km/h) war es das schnellste Indy-500 jemals. Alex Palou sicherte sich Platz 2 vor Simon Pagenaud, der sich den Platz in der letzten Runde noch von Pato O’Ward geholt hatte. Das war ein phantastisches Rennen des Franzosen, der von Startplatz 26 so weit nach vorne gefahren ist.
Das gilt auch für Santino Ferrucci (von 23 auf 6), Sage Karam (von 31 auf 7) und Juan Pablo Montoya (von 24 auf 9). Ihre Startplätze in den Top-9 konnten Ed Carpenter (Platz 5) und Rinus VeeKay (Platz 8) verteidigen. Mit Platz 10 hat Tony Kanaan das knapp verpasst. Mit den Platzierungen von Palou, Kanaan und Marcus Ericsson (Platz 11) kann man sich in etwa ausrechnen, wie Scott Dixon ohne das Pech der ersten Caution im Vergleich zu seinen drei Teamkollegen abgeschnitten hätte. So wurde es am Ende nur Platz 17. Da in den Top-10 aber nur vier Vollzeit-Piloten (Palou, Pagenaud, O’Ward und VeeKay) ins Ziel kamen, hielt sich der Schaden in der Meisterschaftswertung in Grenzen.
Bester Rookie wurde Scott McLaughlin auf Platz 20. Ohne den Fehler in der Boxengasse wäre eine Top-10 wahrscheinlich, eine Top-5-Platzierung möglich gewesen. Ein schlechtes Indy-500 hatte Andretti Autosport. Zwar gewann ein Wagen mit technischem Support des Teams das Rennen, die eigenen Wagen kamen aber nur im Mittelfeld und dahinter ins Ziel. Es gab Probleme mit dem Speed, Marco Andretti (Platz 19) und James Hinchcliffe (Platz 21), später auch bei Colton Herta (Platz 16), technischen Problemen, Ryan Hunter-Reay (Platz 22), und zusätzlich noch Pech bei Alexander Rossi (Platz 29).
Kein gutes Rennen hatte auch Simona de Silvestro. Sie konnte sich zwar auch bis auf Platz 21 nach vorne fahren, ein schlechter Stopp warf sie aber wieder ein paar Plätze zurück. Der Dreher nach Bremsproblemen beim nächsten Stopp beendete dann ihr Rennen. Am Ende wurde sie auf Platz 31 gewertet. Wobei die Gesellschaft aus Rossi, Will Power (Platz 30) und Graham Rahal (Platz 32) jetzt auch nicht so schlecht ist.
Das ganze Ergebnis kann man auf der Homepage der IndyCar-Series (PDF) nachlesen.
Mit Platz 2 übernahm Alex Palou (248 Punkte) die Führung in der Meisterschaftswertung vor Scott Dixon (212 Punkte) und Pato O’Ward (211 Punkte). Platz 3 katapultierte Simon Pagenaud auf Platz 4 (201 Punkte) vor Rinus VeeKay (191 Punkte). Josef Newgarden (184 Punkte) und Colton Herta (154 Punkte) mussten hingegen reinen Rückschlag in Sachen Meisterschaft hinnehmen.
Im Gegensatz zu den letzten Jahren gönnt sich die IndyCar-Series nach dem Indy-500 eine kurze Pause. Erst am Wochenende des 12. Und 13. Juni stehen die Rennen in Detroit auf dem Programm.
















(c) Photos: IndyCar Media; Chris Jones, Christopher Owens, Matt Fraver,Karl Zemlin, Doug Mathews, Walt Kuhn
1 Kommentare
Glückwunsch an Helio, was für ein Moment.
Warum Rahal nicht direkt per Funk angewiesen wurde, in der Pitlane oder am Ende stehen zu bleiben, ist mir ein Rätsel. Man konnte selbst live im TV-Bild sehen, dass dort etwas nicht glatt gelaufen ist. Bei den Geschwindigkeiten auf der Strecke war das einfach nur unverantwortlich.
Auch die Pitlane Incidents waren haarsträubend. Vor allem Hunter-Reays Geschwindigkeitsüberschuss war so massiv. Da hatten die Mechaniker viel Glück, denn da hat wirklich nicht viel gefehlt.
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