Home IRLIndyCar IndyCar in St. Pete: Saisonstart mit Mängeln

IndyCar in St. Pete: Saisonstart mit Mängeln

von Vorsicht
0 Kommentare

Nach den vielen Jubelmeldungen vom Winter verlief der Saisonstart eher ernüchternd. Das Crashfest am Start lässt an der Professionalität von manchen Fahrern und Offiziellen zweifeln. Immerhin: Das Ende war spannend. Und die Quoten so gut, wie lange nicht mehr.

Die IndyCar schafft neue Traditionen. Wie schon beim Saisonstart 2010 tauchte das Feld aus einer großen Staubwolke in die erste Kurve ein. Und wie im vergangenen Jahr war Marco Andretti in einen Crash mit einem fliegenden Wagen verwickelt. Neu: Statt wie in Brasilien aus der Luft getroffen zu werden, hob Andretti diesmal selbst zum Überschag ab. Nicht neu: Die Dominanz von Penske und Ganassi – und Zweifel an der Serien-Organisation. Auch die Fahrer müssen sich diesmal Kritik gefallen lassen: Seit Wochen gibt es Diskussionen über die Kollisionsgefahr bei Double File Restarts. Trotzdem bedufte es am Sonntag gleich mehrerer Versuche, bis alle begriffen hatten, dass man die enge Startkurve in St. Pete nicht zu viert nebeneinander durchfahren kann. Erfreulich war die spannende Endphase des Rennens. Und, dass mit Simona de Silvestro einer neuer Fan-Favorit heranwächst. Und auch die Einschaltquoten waren so gut, wie schon lange nicht mehr.

Dario Franchitti hat die neue Saison dort begonnen, wo er die Gesamtwertung 2010 beendet hat: An der Spitze. Der Sieg des Schotten schien nie ernsthaft in Gefahr – entsprechend langweilig war auch das Rennen an der Spitze. Mehr zu tun hatte da trotz gleichfalls überlegenem Auto schon Will Power: Der Australier fiel von der Pole aus zunächst etwas zurück – konnte sich dann aber (von den ABC-Kameras weitgehend unbemerkt) wieder bis auf Platz zwei zurückkämpfen. Wegen der vielen Ausfälle kam dahinter der erste Pilot eines kleineren Teams zu Podiums-Ehren: Tony Kanaan fuhr nur wenige Tage nachdem er seinen Vertrag mit KV Racing endlich unterschrieben hatte mit einer soliden Fahrt bis auf Rang drei nach vorne.

Der Star des Rennens landete allerdings dahinter: Simona de Silvestro hatte sich aus dem Mittelfeld zwischenzeitlich bis auf Rang zwei vorgekämpft, und landete schließlich auf dem vierten Rang. In der Endphase hätte sie trotz älterer Reifen auch fast noch Kanaan überholt: Weil ihr und, wie dem zur Vorsicht mahnenden Boxenfunk zu entnehmen war, vor alllem auch dem Team ein sicherer vierter Platz aber zu wichtig war, um eine Kollision im Kampf um Rang drei zu riskieren, bleib es dann doch dabei. Was ihrer Freude in den Post-Race Interviews aber kaum abträglich war.

Auch sehr erfreulich: Auf Platz fünf komplettierte Takuma Sato das gute Ergebnis für die beiden ernst zu nehmenden Drittel des KV Racing Teams. Dass EJ Viso derzeit nicht zu diesem Kreis gehört, bewies der Venezolaner in St. Peteresburg noch einmal: Seine vier seperaten Abflüge in vier verschiedenen Sessions wird man auch beim Team nicht sehr gerne gesehen haben. Wenn er so weitermacht, wird man wohl irgendwann mit Blick auf die Reperaturrechnungen überlegen müssen, ob seine Einsätze nicht mehr kosten, als er an Petrodollars ins Teams bringt.

Ähnliche Sorgen hatte man auch bei Dale Coyne – wenn auch mit professioneller eingestuften Protagonisten. Champ-Car Meister Sebastian Bourdais schlug im Warm Up so heftig in der Mauer ein, dass sein Wegen nicht mehr rechtzeitig zum Rennstart repariert werden konnte. Auch Teamkollege James Jakes beschädigte seinen Wagen in einem davon unabhängigen Vorfall in der gleichen Runde des gleichen Trainings – konnte aber nach Reparaturarbeiten immerhin im Rennen starten.

Coyne und KV können sich damit trösten, dass sie noch lange nicht die einzigen Teams mit hohen Reparaturrechnungen sind: Nach mehreren kollisionsträchtigen (Re)starts in Kurve eins gab es wohl schon nach den ersten 15 Runden kaum noch ein Team ohne beschädigte Autos.

Nach den vielen Kollisionen sind nun die Diskussonen um die neuen Double File Starts wieder aufgeflammt – einige Fahrer und Teams fordern die sofortige Abschaffung. Das scheint allerdings überzogen. Es mag Strecken geben, wo Double File Restarts tatsächlich nicht der Königsweg sind – St. Petersburg zählt dazu, gleichfalls etwa Sao Paulo oder Long Beach. Man könnte sich überlegen, ob man nicht auf manchen Kursen zur alten Regel zurückkehrt. Eine völlige Abschaffung käme nach nur einem Rennen aber deutlich zu früh. Und würde nach den Debatten um die zuerst angekündigten und dann kurzfristig wieder zurückgezogenen Lucky-Dog und Höchstteilnehmerzal-Regeln die Glaubwürdigkeit der INDYCAR nicht gerade erhöhen.

Diskussionswüridig scheint auch, ob man wirklich den Double File Restarts alleine die Schuld geben kann. Denn das Chaos in St. Petersburg wurde von mehreren Faktoren unterstützt: Die Start- und Zielgerade fungiert im sonstigen Jahr als Landebahn eines Flughafens, sie ist daher abseits der Linie alles andere als sauber. Staub und Öl sorgen dafür, dass das sich die Fahrer beim Bremsen besonders leicht vertun können. Marco Andretti etwa kam schon vor der Kollision, die zu seinem Überschlag führte im Slide in der Kurve an. Was auch ohne Double File ziemlich sicher zum Crash geführt hätte. (Ganz abgesehen davon, dass sich der Unfall beim Start ereigenete, also zu einem Punkt des Rennens der schon immer Double File absolviert wurde.)

Problematischer als der Double File Restart an sich scheint außerdem, dass die IndyCar über den Winter entschieden hat, die grüne Flagge erst später zu schwenken. Die Autos müssen also auf der Geraden in ziemlich langsamer Geschwindigkeit warten, bis sie Gas geben dürfen. Weil die Fahrer aber nach dem Einbiegen des SC zunächst Gas geben müssen, um den nötigen Platz in der Double File Formation zu finden, führt das zu einer Art Ziehharmonikaeffekt. Und dazu, dass die Autos auf besonders engem Raum unterwegs sind.

Und schließlich müssen sich die Piloten auch an der eigenen Nase fassen: Einige der Kollisionen wären durch etwas besonneneres Herangehen durchaus zu vermeiden gewesen. Vielleicht sollte man bei der nächsten Fahrerbesprechung auch etwas prägnanter auf die alte Binsenweisheit aufmerksam machen, dass das Rennen nicht in der ersten Kurve entschieden wird.

Irgendetwas sollte man sich vielleicht insgesamt in Punkto Fahrstil überlegen: Nach dem Rennen in St. Petersburg wurden sowohl bei Ana Beatriz als auch bei Justin Wilson Knochenbrüche im Handgelenk festgestellt, die bei Kollisionen entstanden waren. Erstaunlich: Beide fuhren das Rennen noch mit den gebrochenen Händen (im Falle von Wilson angeblich „einhändig„) zu Ende, und landeten auf den Rängen zehn und 14. In zwei Wochen in Alabama wollen beide wieder mit dabei sein: Wilson hat schon die Anfertigung einer Karbonschiene in Aussicht gestellt, Beatriz zeigt sich ebenfalls optimistsich. Bisher ist nichts bekannt, was darauf hindeuten würde, dass die Brüche durch eine Eigenart am Auto verursacht worden wären – etwas merkwürdig ist es aber schon, dass sich beide Dreyer & Reinbold Piloten im selben Rennen die gleiche Verletzung zuziehen.

Und damit noch ein paar Worte zur Rennübertragung auf ABC: Wie schon in den vergangenen Jahren bleibt auch 2011 der Eindruck zurück, dass man die Rennen der IndyCar Series als eine Art lästige Verpflichtung betrachtet, die man eingehen muss, um das Indy 500 übertragen zu dürfen. Um den Anforderungen genüge zu tun schickt man nur das nötigste Personal – was sich heuer vor allem im Bereich der Bildregie bemerkbar machte. Die Crashes bei den Restarts wurden artig wiederholt – die (gar nicht so wenigen) Überholmanöver im Mittelfeld wurden von der Regie allerdings nicht einmal ignoriert. Und auch von den Kommentatoren nur in den seltensten Fällen erwähnt. Die waren zwar besser als auch schon – vor allem was die Fahrer im hinteren Feld betraf aber immer noch ziemlich fehleranfällig.

Man darf sich damit trösten, dass die Übertragung mit einem TV-Rating von 1.4 die besten Einschaltquoten seit drei Jahren (für ein IndyCar-Rennen außerhalb des Indy 500) eingefahren hat. Vielleicht motiviert dieser Erfolg ABC/ESPN ja, beim nächsten Rennen etwas mehr zu investieren.

Dass es auch mit mäßigem Aufwand besser geht, beweist sky UK. Im Studio in London saßen neben dem Moderator Keith Huewen der zumindest aus Testfahrten Indycar-erfahrere James Rossiter und Sportwagenpilot Johnny Mowlem, und diskutierten in den Webepausen informativ über Hintergründe zum Rennen. Ganz zu schweigen vor einem hervorragendem Vorbericht zu den Frauen in der IndyCar Series, der die Portraitierten als Fahrerinnen ernst nahm und gelungene Interviews zu deren Erfahrungen im männerdominierten Berufsfeld Motorsport lieferte. Das würde man sich auch bei ABC oder Vs. einmal wünschen, wo man die offene Erwähnung des Themas zwar scheut, und das Wort „Frau“ oft das ganze Rennen lang nicht erwähnt – Danica Patrick aber dennoch rundenlang unmotiviert zeigt, während sie weitgehend actionfrei im Mittelfeld unterwegs ist.

Wenig erquicklich war dafür die Präsentation der IndyCar Series auf deren Homepage. Dass man neben den Rennen auch die Trainings und die Qualifikation nicht mehr streamen darf (obwohl sie nicht im TV gezeigt werden), ist bedauerlich – wenn entsprechende Verträge mit Versus existieren, dann kann man der Serie aber keinen Vorwurf machen. Dass man das dysfunktionale Livetiming allerdings kurzfrisitg durch dem Videostream eines abgefilmten Timing-Screens ersetzen musste wirkt bei aller Freude über die flexible Lösung doch etwas unprofessionell. Genauso wie die Tatsache, dass man sich erst wenige Stunden vor dem Rennen dazu durchringen konnte, die Liste der internationalen TV-Stationen, die die Serie übertragen zu aktualisieren.

Weiter geht es in zwei Wochen im Barber Motorsports Park in Alabama, auf  einer Strecke mit ganz anderer Charakteristik als St. Petersburg. Dort wird sich dann auch zeigen, wie die neuen Restart-Regeln auf einer regulären Rennstrecke funktionieren. Und, ob die Piloten nach den Erfahrungen von St. Pete bereit sind, es etwas vorausschauender angehen zu lassen.

(Bilder: INDYCAR)

Das könnte Dir auch gefallen

  Der Ansprechpartner in Sachen Automobil ist AUTODOC
  Der Ansprechpartner in Sachen Automobil ist AUTODOC