Zur Komplettierung der ersten Saisonhälfte reist die BTCC in den Norden in die Grafschaft Yorkshire und gastiert dort auf dem Croft Citcuit.
Der 3,4 Kilometer lange Kurs von Croft ist für mich so eine Art unscheinbarer Klassiker im BTCC-Kalender. Der auf einem ehemaligen RAF Airfield errichtete Circuit verfügt über eine tolle Streckenführung und hat in den vergangen Jahren meistens auch sehr gutes Racing hervorgebracht. Im Verlauf einer Runde absolvieren die Fahrer sowohl eine ganze Reihen von schnellen bis mittelschnellen Kurvenpassagen als auch die langsamste und engste Kurve im gesamten BTCC-Kalender. Ein gutes Fahrwerk und optimale Traktion sind der Schlüssel zum Erfolg in Croft.

Track map of Croft racing circuit in England, Wikimedia Commons, Author: Will Pettinger
Die Start-Ziel-Gerade mündet in die sich zum Ausgang öffnende Rechtskurve von Clervaux, die zwar zum Überholen einlädt, was aber nicht selten in die Hose geht, da am Ende der Kurve nur eine einzige echte Linie existiert. Denn direkt im Anschluss geht es in den sogenannten Complex. Eine knifflige Links-Rechts-Schikane führt in einen langgezogenen Rechtsbogen, an den sich eine sehr schnelle Links-Rechts-Kombination anschließt, die auf die längste Gerade der Strecke führt. Es gilt hier, maximal viel Speed mitzunehmen.
Gegen Ende knickt die Gerade leicht nach links und mündet in die mittelschnelle Rechtskurve von Tower Bend. Fahrer, die den Bremspunkt verpassen, erwartet hier eine der letzten als Auslaufzone dienenden britischen Agrarflächen in der BTCC. Aus Tower Hill heraus gilt es erneut, möglichst früh und ohne Probleme herauszubeschleunigen, denn es geht in Richtung der Jim Clark Esses. Die Links-Rechts-Kombination ist sehr schnell und lädt immer wieder zu gewagten Manövern ein, bei denen sich der Angreifer in der Linkskurve auf die Außenseite setzt, um dann beim Richtungswechsel nach rechts innen zu sein. Vor allem Matt Neal hat in den letzten beiden Jahren gezeigt, dass er dieses Manöver, bei dem gerne auch eine Menge Lack ausgetauscht wird, bis zur Perfektion beherrscht.
Nach den Esses und einem Rechtsknick geht es zwei Mal rechts durch die Kurven Sunny in und Sunny out, die ein wenig wie eine verkleinerte Version der beiden Lesmos in Monza wirken. Eine kurze Gerade bringt die Fahrer zum zweiten Complex: Nach einer schnellen Links, geht es unmittelbar in eine deutlich langsamere Rechtskurve. Das Auto muss also nach der ersten Kurve optimal platziert sein, um die Rechts gut anbremsen zu können.
Anschließend wird durch einen weiteren Rechtsknick beschleunigt, bevor es in die enge 180 Grad-Hairpin und damit in die langsamste Kurve der gesamten BTCC-Saison geht. Dass diese Stelle zum Überholen geradezu einlädt, muss nicht extra erwähnt werden, oder? Weil die Kurve zurück auf die Start-Ziel-Gerade führt, liefern sich Kontrahenten hier auch häufig ein Beschleunigungsduell aus der Kurve heraus. Wer in der Hairpin denkt, eine Position gegen einen innen in die Hairpin hineinstechenden Kontrahenten verloren zu haben, kann sich diese dann oft wieder zurückholen, da er auf der Kurvenaußenseite den besseren Radius zum frühen Beschleunigen hat und für die nachfolgende Clervaux-Kurve wieder auf der günstigeren Kurveninnenseite ist. So oder so spielt die Traktion vor allem an dieser Stelle, bei der aus dem ersten oder zweitem Gang herausbeschleunigt werden muss, eine besonders entscheidende Rolle.
Stellt sich natürlich die Frage, wem das alles am besten liegen könnte. Die schnellen Kurvenkombinationen gehen ganz klar an die Honda, die über das beste Fahrwerk sowie eine besonders effiziente Aerodynmik verfügen. Seit die Civic-Motoren in dieser Saison auch in der Leistung zulegen konnten/durften, werden Gordon Shedden und Matt Neal auch nicht mehr so sehr auf der langen Geraden verhungern wie noch im letzten Jahr.
Die erforderliche Traktion spielt dagegen besonders den BMW zu, die hier dank des Heckantriebs logischerweise über Vorteile verfügen. Colin Turkington dominierte im 125i des West Surrey Teams die Veranstaltungen in den letzten beiden Jahren nach Belieben (insgesamt vier Siege). Dass aber die aktuelle Fahrertruppe, abgesehen von einigen Glanzlichtern, nicht an die Klasse von Turkington heranreicht, haben wir in diesem Jahr ziemlich klar zu sehen bekommen. Eine ähnliche BMW-Vorstellung wie im letzten Jahr wäre also ziemlich überraschend.
Viel eher sollte man auch in Croft die VW von BMR auf der Rechnung haben. Es gibt augenscheinlich keinen Grund, warum der Passat nicht auch hier mit das schnellste Auto sein sollte. Jason Plato hat beim vergangenen Rennwochenende in Oulton Park ein wahres Feuerwerk abgebrannt und führt aktuell die Meisterschaft an. Das Auto ist schnell und ausgereift und kommt in dieser Saison bislang mit jedem Typus Strecke gut zurecht. Mindestens ein VW-Sieg ist also sehr wahrscheinlich – nur ob dieser von Jason Plato, Colin Turkington oder Árón Smith geholt wird, kann man schwer vorhersehen.
Ob die MG mal aus eigener Kraft gewinnen können, muss man weiterhin mit einem großen Fragezeichen versehen. Andrew Jordan und Jack Goff zeigen zwar beherzt gute Leistungen, aber mehr als Podiumsplätze dürften auch dieses Mal nicht drin sein. Eher sollte man da schon Adam Morgan auf der Rechnung haben. Die A-Klasse hat das Laufen gelernt und ist mit Morgan am Steuer verdammt schnell unterwegs. Auch die Streckencharakteristik von Croft sollte dem Mercedes ganz gut liegen.
Hier noch ein Überblick über die aktuelle Top Ten in der Meisterschaft zusammen mit den Zusatzgewichten, die in der Quali und im ersten Rennen gefahren werden müssen:
1. Jason Plato, VW | 157 Punkte | 75 kg
2. Gordon Shedden, Honda | 154 Punkte | 66 kg
3. Matt Neal, Honda | Honda | 149 Punkte | 57 kg
4. Andrew Jordan, MG | 144 Punkte | 48 kg
5. Colin Turkington, VW | 124 Punkte | 39 kg
6. Adam Morgan, Mercedes | 114 Punkte | 33 kg
7. Sam Tordoff, BMW | 111 Punkte | 27 kg
8. Jack Goff, MG | 104 Punkte | 21 kg
9. Árón Smith, VW | 93 Punkte | 15 kg
10. Rob Collard, BMW | 93 Punkte | 9 kg
Letzte Notizen
Einen prominenten Debütanten erlebt die BTCC in Croft. Nicolas Hamilton, Bruder von F1-Weltmeister Lewis Hamilton, wird im Team von AmD Tuning seine ersten BTCC-Läufe bestreiten. Damit dürfte der Hauptfokus für die mediale Aufmerksamkeit schon mal definiert sein. Hoffen wir mal, dass ihm das noch genug Zeit lässt, sich auf das Rennfahren vorzubereiten. Zum Einsatz kommt übrigens der Audi S3, der im vergangenen Jahr von Rotek Racing und Rob Holland eingesetzt wurde.
Einen neuen Fahrer hat auch der zweite Infiniti gefunden. Nachdem dort zunächst Richard Hawken und Martin Donnelly am Steuer saßen, blieb das Auto in Oulton Park nach dem werksseitigen Rückzug von Infiniti in der Garage. Nun schwingt sich der 21 Jahre alte Max Coates ans Volant und soll auch den Rest der Saison bestreiten. Coates zeigte in den wenigen Jahren seiner jungen Karriere ziemlich gute Leistungen im Ginetta Supercup, wo er einige Rennen gewinnen konnte.
Einen Fahrer sucht dagegen Simon Belcher. Wegen der recht teuren Schäden an seinem Toyota nach dem Unfall mit Mike Bushell in Thruxton klafft ein großes Loch im Budget des Teams. Belcher möchte daher die nächsten drei Rennen nach Croft aussetzen, um seine finanziellen Mittel zu schonen. Damit aber keine Gefahr für seine TOCA-Lizenz entsteht (Läufe auslassen geht eigentlich nicht), sucht er jemanden, der Lust und Geld hat, die Rennen zu bestreiten. Wie immer bei solchen Situationen sage ich: Paul O’Neil? Beziehungsweise: Was macht eigentlich James Thompson, seitdem Lada ihn rausgeworfen hat?
Die Startzeiten der BTCC-Läufe könnt ihr wie gewohnt unserem TV-Planer entnehmen.