Home LMS24 H Le Mans 24 Stunden von Le Mans 2016: Still Going Like Hell

24 Stunden von Le Mans 2016: Still Going Like Hell

von StefanTegethoff
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Kaum ein anderer Typ von Autorennen erzählt Geschichten wie ein 24 Stunden-Rennen. In 24 Stunden kann so vieles passieren – nicht umsonst wird gern mal die Kilometerleistung, die in Le Mans in 24 Stunden bestritten wird, mit der einer Formel 1-Saison verglichen. Zwar hat die Formel 1 mit 21 Rennen inzwischen die Nase vorn (ca. 6500 km zu 5410,7 km, Rekorddistanz von 2010), doch der Vergleich zeigt immer noch beeindruckend, wie viel bei der Hatz zwei mal rund um die Uhr passieren kann. Und mit zunehmender Fortdauer eines Rennevents (Le Mans 2016 ist die 84. Ausgabe seit 1923) werden eben diese Geschichten zu Geschichte – oder gar zu Legenden.

Bruce McLaren, Henry Ford II. und Chris Amon auf dem Siegerpodest, Le Mans 1966

Bruce McLaren, Henry Ford II. und Chris Amon auf dem Siegerpodest, Le Mans 1966

Die Geschichten, die ein 24 Stunden-Rennen erzählt, bringen Emotionen zu Tage. Im vergangenen Jahr habe ich im Vorfeld des großen 24 Stunden-Rennens meine persönliche Beziehung zu dieser Veranstaltung geschildert und die Emotionen, die damit in den letzten 15 Jahren einhergegangen sind. In diesem Jahr möchte ich etwas über eine der großen Legenden in der Geschichte des Rennens erzählen, die auch sehr stark von Emotionen geprägt ist. Es ist die Geschichte des grandiosen Zweikampfes zwischen Ford und Ferrari in den 60er Jahren.

Der Anlass ist schnell erklärt: Vor einem halben Jahrhundert konnte Ford mit dem berühmten GT40 (genauer: mit einer Variante dieser Sportwagen-Legende, dem Mk.II) seinen ersten Gesamtsieg beim 24 Stunden-Rennen an der Sarthe einfahren – drei weitere sollten bis 1969 folgen. Ford feiert das 50-jährige Jubiläum mit einem werksseitigen Comeback. Zwar wird man nicht um den Gesamtsieg kämpfen, aber der neue Ford GT wurde mit dem Ziel des Klassensiegs in der GTE-Pro-Kategorie entwickelt, in der neben Porsche, Aston Martin und Corvette auch Ferrari wieder zu den Konkurrenten zählt.

„Il Commendatore“ vs. „Hank the Deuce“

Die Geschichte des Ford GT40 und des Zweikampfes Ford vs. Ferrari ist viel bewegter, als man es sich vorstellen mag, wenn man liest, dass Ford ab 1966 vier Gesamtsiege in Folge einfuhr – und sie beginnt mit Enzo Ferrari, dem Gründer der exklusiven italienischen Sportwagenschmiede, und Henry Ford II. (dem Enkel des Firmengründers), dem damaligen CEO des Weltkonzerns Ford Motor Company: „Il Commendatore“ vs. „Hank the Deuce“, Maranello, Italien vs. Dearborn, Michigan.

Anfang der 1960er Jahre suchte Ferrari einen Käufer für die Straßenauto-Sparte seines kleinen Unternehmens. Ford machte ein Angebot, das jedoch auch die Kontrolle des Rennteams, der Scuderia Ferrari, in die Hände des mächtigen US-Konzern gebracht hätte. Hierauf wollte sich der enthusiastische Motorsport-Boss nicht einlassen und brach die Verhandlungen 1963 ab. Ford stieß dies äußerst sauer auf, die Führung sann auf Vergeltung. Diese sollte sich jedoch nicht in der Geschäftswelt abspielen, sondern auf der Rennstrecke: Henry Ford II. beschloss, man müsse Ferrari besiegen – und zwar nicht in der Formel 1, sondern in Le Mans, wo Ferrari seit 1958 dominierte.

Dreimal (1958 sowie 1960 und 1961) siegte die Scuderia mit Varianten des Modells 250 Testa Rossa, nur 1959 fielen alle Werks-Ferraris mit technischen Defekten aus und Aston Martin konnte mit dem DBR1 triumphieren. 1962 gewann der für die neu eingeführte „Experimental“-Klasse entwickelte 330 TRI/LM Spyder sein Debütrennen. 1963 tat es ihm der 250P, der erste V12-Mittelmotor-Rennwagen von Ferrari, gebaut für die neu eingeführte Prototypen-Klasse, gleich. Darüber hinaus brachte Ferrari 1960 insgesamt sechs Boliden (einschließlich privater Einsätze) in die Top Ten, 1961 und 1962 hatte man jeweils das Gesamtpodium komplett für sich und 1963 gar die ersten sechs Plätze. Und Ferrari dominierte nicht nur in Le Mans, sondern sicherte sich auch in jedem dieser Jahre (außer 1959: Aston Martin) den Titel in der Sportwagen-Weltmeisterschaft.

1963/64: Ford Advanced Vehicles und der GT40 Mk.I

Diese Dominanz zu brechen, machte sich Ford zur Aufgabe – doch neben Willenskraft und Geld bedurfte es dafür einer geeigneten Waffe. Ford-Motoren waren in Le Mans 1963 in Carroll Shelbys AC Cobra und im neuen Mk6 GT zum Einsatz gekommen und hatten Potenzial offenbart; mit Colin Chapmans Lotus-Team gab es bereits Kooperationen (etwa das Straßenauto Lotus Cortina). Auch das britische F1-Team Cooper wurde in Betracht gezogen, schien jedoch seinen Zenit schon überschritten zu haben. Ford entschied sich für Lola und stellte ein Entwicklungsteam zusammen aus Lola-Gründer Eric Broadley, dem berüchtigten Briten John Wyer (der für Aston Martins Erfolg 1959 verantwortlich war) und dem eingebürgerten Amerikaner Roy Lunn, seines Zeichens Konstrukteur des Ford Mustang-Concept Cars. Ford Advanced Vehicles Ltd. wurde diese Firma genannt und in Slough, 30 km westlich von London, angesiedelt.

Das Team um Broadley, Wyer und Lunn entwickelte den GT40 Mk.I für das 1963 neu eingeführte Prototypen-Reglement, wobei Broadleys Lola Mk6 GT die Basis und den Testträger darstellte. Eine neue Karosserie wurde übergestülpt und der Antriebsstrang bestand aus einem 4.2l-Motor aus dem Ford Fairlane und einem Getriebe des italienischen Herstellers Colotti. Nach dem Debüt auf dem Nürburgring im Mai 1964 (Ausfall) wurden drei dieser Boliden im Juni in Le Mans werksseitig eingesetzt (gemeldet unter Ford Motor Company). Richie Ginther und Masten Gregory konnten zwar in der frühen Rennphase die Führung erobern und bis zum ersten Boxenstopp behaupten, doch letztendlich kam keiner der drei Mk.I ins Ziel; ein wesentlicher Schwachpunkte war das Getriebe.

Enzo Ferraris Prototypen dagegen setzten ihre Siegesserie fort: Es gewann der 275P von Jean Guichet und Nino Vaccarella, gefolgt von zwei 330P, Graham Hill und Jo Bonnier im privaten Maranello Concessionaires-Wagen und John Surtees und Lorenzo Bandini für die Scuderia selbst. Rang 4 für die Shelby-Cobra von Dan Gurney und Bob Bondurant („nur“ 15 Runden hinter den Siegern) war ein achtbares Ergebnis, aber ein schwacher Trost für die Ford-Chefetage.

1965: Shelbys Mk.I und Fords Mk.II

Die Saison 1964 verlief unter der Regie von John Wyer auch nach Le Mans erfolglos. Nach dem Sportwagen-Rennen in Nassau auf den Bahamas wurde das Projekt von der Ford-Führung an Carroll Shelby gegeben, der die englische AC Cobra mit einem Ford-V8 zu einem erfolgreichen GT-Rennwagen entwickelt hatte, der europäische Bauart mit amerikanischer PS-Power kombinierte. Shelbys Werkstatt-Mannschaft in LA sollte den GT40 siegfähig machen. Ihr Weg war der Einbau des 4.7l-V8-Motors, der auch in den Cobras zum Einsatz kam, und der Wechsel zu Getrieben vom deutschen Hersteller ZF.

Ford-Motorsport-Boss Leo Beebe und das Entwicklerteam mit dem GT40, 1965

Ford-Motorsport-Boss Leo Beebe und das Entwicklerteam mit dem GT40, 1965

Doch Ford wollte auf Nummer sicher gehen: Parallel wurde die hauseigene Tuningschmiede Kar Kraft in Dearborn ebenfalls mit der Entwicklung eines siegfähigen GT40 beauftragt, Roy Lunn leitete dieses Projekt. Da man in der NASCAR zunehmend erfolgreich unterwegs war, wurde der 7.0l-V8 aus dem Ford Galaxie (bekannter mit der US-Hubraum-Angabe 427 cubic inches) als neuer Rennmotor für den GT40 auserkoren. Um dessen massive Kraft zu bewältigen, musste zudem ein eigenes Viergang-Getriebe entwickelt werden. Der Wagen wurde kaum rechtzeitig für Le Mans 1965 fertig, Testfahrten waren Mangelware.

Zwei Mk.II wurden an den Start gebracht, Shelby musste dieses „Konkurrenzprodukt“ mit seinem Team betreuen; von seinen weiterentwickelten Mk.I-Boliden wurden ebenfalls zwei Exemplare eingesetzt, hinzu kamen zwei private Mk.I von Ford France und der Scuderia Filipinetti. Keiner der sechs Fords schaffte es ins Ziel, schon nach wenigen Stunden standen sie alle am Straßenrand oder in der Garage. Die Defekte waren mannigfaltig, der Verbrauch der 427er-Mk.IIs enorm.

Doch auch bei Ferrari hinterließ das beginnende Wettrüsten Spuren: Die Weiterentwicklung des Ferrari-Prototypen, des 330 P2, litt unter einem hohen Bremsverschleiß. Die mehrfach notwendigen Bremsscheiben-Wechsel kosteten Zeit, doch letztendlich führten andere Probleme zum Ausfall beider Wagen am Sonntag, einmal versagte das Getriebe, einmal die Kupplung. Die italienische Ehre musste das North American Racing Team, kurz NART, retten: Masten Gregory und Jochen Rindt siegten für die Mannschaft von Ferraris US-Importeur Luigi Chinetti (selbst auch als Fahrer eine Legende, nachdem er 1949 im Ferrari von Lord Selsdon das sein drittes 24 Stunden-Rennen fast im Alleingang gewann, Lord Selsdon übernahm nur für etwa eine Stunde das Steuer).

1966: Showdown und Foto-Finish

Es deutete alles auf den großen Showdown im nächsten Jahr hin: Ford hatte mit dem Mk.II einen Wagen mit viel Potenzial, der aber 1965 noch nicht fertig entwickelt und vor allem kaum getestet war. Ferrari hatte mit dem 330P ebenfalls einen sehr starken Prototyp, der jedoch noch unter Kinderkrankheiten litt. Ford erteilte Shelbys verbessertem Mk.I eine Absage und setzte voll auf die Weiterentwicklung der 7.0l-Variante. Ken Miles und Lloyd Ruby führten damit beim ersten 24 Stunden-Rennen in Daytona Anfang Februar einen Dreifach-Sieg von Ford an; mit dem parallel entwickelten X-1 Roadster (ohne Dach, aber ebenfalls vom 7.0l-Aggregat angetrieben) siegten sie auch in Sebring; der einzige eingesetzte Ferrari 330 P3 fiel mit Getriebeschaden aus.

Die Zieleinfahrt in Le Mans 1966, links das Siegerauto von McLaren / Amon

Die Zieleinfahrt in Le Mans 1966, links das Siegerauto von McLaren / Amon

Ford fuhr in Le Mans ein gewaltiges Aufgebot auf: Shelby und Fords NASCAR-Einsatzteam Holman Moody setzten je drei GT40 Mk.II ein, das britische Team Alan Mann Racing zwei weitere. Zu diesen acht Werksautos kamen fünf privat eingesetzte Mk.I in der Shelby-Variante (mit 4.7l-Motor). Die Fords fuhren nach dem Start davon; die beiden Werks-Ferraris (330 P3) verunfallten im Laufe des Rennens, die P2-Boliden überforderten mit der Jagd nach den Fords ihre Motoren und der letzte P3, eingesetzt von Chinettis NART-Mannschaft, überhitzte und schied aus.

Auch die Fords kamen nicht ungeschoren davon, doch zwei Shelby-GT40 lagen in der letzten Stunde an der Spitze: Ken Miles und Denis Hulme in der #1 und Bruce McLaren und Chris Amon in der #2 (es heißt, McLarens Wagen sei sabotiert gewesen, weil er beim Team weniger beliebt war). Henry Ford II. war anwesend und wies seine Piloten an, nebeneinander über die Ziellinie zu fahren; er wollte zwei Siegerautos: Miles wartete auf McLaren und die beiden erfüllten die Order ihres obersten Bosses. Doch der ACO akzeptierte kein Unentschieden: McLaren und Amon wurden zum Siegerteam erklärt, da sie aufgrund ihrer schlechteren Startposition in den 24 Stunden mehr Distanz zurückgelegt hatten. Ken Miles, langjähriger Testfahrer in Ford GT40-Programm, war untröstlich; wenige Monate später verunfallte er bei Testfahrten der nächsten Iteration des GT40, des sogenannten J-Car, tödlich.

1967: Mk.IV vs. 330 P4 und die erste Champagnerdusche

Das J-Car war eine aerodynamisch optimierte Version des GT40; das Projekt wurde beendet, aber es diente als Grundlage für den Mk.IV, der mit dem bewährten 7.0l-Motor bei verringertem Luftwiderstand höhere Geschwindigkeiten erreichen sollte. Doch auch in Maranello war man nicht untätig – eher alles andere als das, bedenkt man, dass die kleine Sportwagenschmiede gleichzeitig noch Formel 1-Autos baute und einsetzte und verschiedene Straßenautos auf den Markt brachte. Unter dem technischen Direktor Mauro Forghieri wurde der 330P4 entwickelt: Der 4.0l-V12 brachte es auf 450 PS, das Fünfgang-Getriebe war eine brandneue Eigenentwicklung – und die geschwungene Karosserie ist (zumindest für mich) bis heute einer der schönsten Sportwagen-Prototypen ever. Bei den 24 Stunden von Daytona schlug Ferrari im Ford-Heimatland zurück und holte einen Dreifach-Sieg: Die zwei werksseitig eingesetzten 330P4 vor einem vom North American Racing Team eingesetzten P3. Fords Mk.IV war zu diesem Zeitpunkt noch nicht einsatzbereit und die Mk.II-Modelle litten unter Getriebeproblemen.

Der Mk.IV des Sieger-Duos Gurny / Foyt in den Esses, 1967

Der Mk.IV des Sieger-Duos Gurny / Foyt in den Esses, 1967

Ferraris 330P4 vs. Fords GT40 Mk.IV – Le Mans 1967 war das ultimative Duell der beiden so unterschiedlichen Giganten. Vier Mk.IVs waren am Start, je zwei für Holman Moody und Shelby American (die beiden Teams betreuten außerdem drei Mk.IIB-Boliden, die aber keine Rolle spielen sollten, ebenso wie die privat eingesetzten Mk.I). Nach dem Start übernahm Shelbys reine US-Besatzung, bestehend aus Dan Gurney und A.J. Foyt, bald die Führung – und gab sie nicht mehr her. Alle nächtlichen Katz- und Maus-Spielen zum Trotz siegten Gurney und Foyt am Ende mit 388 Runden zu 384 von Ludovico Scarfiotti und Mike Parkes im besten Ferrari 330P4. Der zweite Shelby-Ford Mk.IV landete hinter dem Equipe Nationale Belge-Ferrari 330P4 auf Rang 4, während alle Holman Moody-Fords ausfielen, drei davon aufgrund eines nächtlichen Unfalls von Mario Andretti. Doch der zweite Sieg in Folge (inklusive neuem Distanzrekord) war Grund genug für Dan Gurney, die heute obligatorische Champagnerdusche zu „erfinden“.

Das Ende der Werkseinsätze

Für 1968 entschied sich der ACO zu gravierenden Regeländerungen – wie so oft (und auch heute noch) bei werksseitigem Wettrüsten waren die Fahrzeuge zu schnell geworden für die damals noch haarsträubend gefährliche Strecke. Einerseits wurde zwischen Maison Blanche und Start/Ziel die Ford-Schikane (damals noch eine einzelne Schikane) eingefügt, um die Fahrzeuge vor dem Passieren der Boxenanlage (die damals noch nicht baulich, sondern nur durch eine weiße Linie von der Rennstrecke getrennt war) herunterzubremsen. Zum anderen wurde das technische Reglement modifiziert: Prototypen (wie Ferraris 330 P4) durften maximal 3 Liter, GT-Wagen (wie Fords GT40) maximal 5 Liter Hubraum haben. Damit waren die letzten Inkarnationen beider Kontrahenten obsolet – und beide entschiedenen sich, dem Rennen 1968 mit ihren Werksteams fernzubleiben.

Doch der Brite John Wyer, 1963/64 an der Entwicklung des ersten GT40 beteiligt, hatte inzwischen mit John Willment das Team JW Automotive gegründet und entwickelte für den GT40 Mk.I (die weiteren Varianten waren für den Einbau des 7.0l-Big Block-Motors konzipiert) einen neuen V8-Motor mit 4.9l Hubraum, der ins Reglement passte. Drei davon brachte Wyer an den Start (hinzu kamen zwei private Mk.I mit dem ursprünglichen 4.7l-Motor) – nur einer kam ins Ziel, doch der auf Platz 1: Lucien Bianchi und Pedro Rodriguez holten den dritten Gesamtsieg für den Ford GT40 in Folge. Der beste Ferrari (ein von David Piper eingesetzter und pilotierter 250LM) kam auf Rang 7 ins Ziel, während sich Porsche mit den Modellen 907 und 908 mit zwei Podiumsplätzen als neue Kraft etablierte.

Der GT40 von Bruce McLaren und Chris Amon auf dem Weg zum Le Mans-Sieg 1966

Der GT40 von Bruce McLaren und Chris Amon auf dem Weg zum Le Mans-Sieg 1966

1969 sollte dann das Ende dieser Ära darstellen – doch es wurde ein würdiges Ende: Noch einmal siegte John Wyers Team mit dem modifizierten GT40 Mk.I und dem Duo Jacky Ickx / Jackie Oliver – doch sie schlugen Porsche mit Hans Herrmann und Gérard Larrousse nur um etwa 100 Meter in dieser als „Ronde Infernale“ bekannt gewordenen Ausgabe des Langstreckenklassikers. Es ist der engste Zieleinlauf unter Rennbedingungen (also unter Nicht-Berücksichtigung von Fords missglücktem „Unentschieden“ von 1966). David Hobbs und Mike Hailwood wurden im zweiten JWA-GT40 Dritte mit vier Runden Rückstand, Helmut Kelleners und Reinhold Joest (heute Chef des Audi-Einsatzteams) wurden in einem von der Deutschen Autozeitung eingesetzten GT40 Mk.I Sechste. Ferrari war mit dem neuen, Formel 1-basierten 312P (3 Liter, 12 Zylinder) zwar wieder eingestiegen, jedoch erfolglos: beide Wagen fielen aus.

Die 70er Jahre sollten Porsche und Matra gehören. Ferrari mischte noch für einige Jahre mit dem 312P, 512S und 312PB werksseitig mit, konnte jedoch nicht mehr an die Erfolge aus den 50er und 60er Jahren anknüpfen und beendete nach der Saison 1973 sein Sportwagen-Prototypen-Programm; seitdem sind bis auf das Intermezzo mit dem aus privater Initiative entstandenen 333SP in den 90er Jahren nur noch Gran Turismo-Boliden aus Maranello am Start gewesen. Diese konnten Klassensiege einfahren, jedoch nie wieder einen Gesamtsieg.

Ford blieb dem Rennen werksseitig von 1968 bis 2015 fern. In den 70er Jahren nutzten einige Teams Ford-Motoren (gern Cosworth-getunte) in ihren Prototypen, darunter Mirage, Ligier und Lola: 1975 (Gulf-Mirage) und 1980 (Rondeau) konnten Ford-Cosworth-Motoren sogar Gesamtsiege verbuchen, auch darüber hinaus gab es in den 70ern noch viele gute Platzierungen, bevor in den 80er Jahren das Gruppe C-Reglement Einzug hielt und Porsche die Sportwagen-Prototypen-Szene dominierte. Außerdem brachte Ford Deutschland in den 70ern über mehrere Jahre Capri-Tourenwagen in Le Mans an den Start.

Die Reinkarnationen des GT40

Im Jahr 2004 brachte Ford die Neuauflage des alten GT40, nun unter dem Namen Ford GT (die Höhe von  40 Zoll wurde auch überschritten) auf den Markt. Der Wagen war dem Ur-Modell optisch sehr nahe; gut 4000 Einheiten wurden gebaut. Ein werksseitiges Rennprogramm gab es nicht, jedoch nahmen sich verschiedene kleine Rennsport-Tuner den neuen GT vor. So entwickelte Matech aus der Schweiz eine Variante für die neuen GT1- und GT3-Klassen; erstere kam 2010 auch in Le Mans zum Einsatz (darunter ein Wagen mit reiner Frauen-Besatzung), doch alle Fahrzeuge erlitten technische Defekte. Klassensieger wurde ein alter Saleen – mit einem 7.0l-Motor aus dem Hause Ford.

Auch das US-Motorsport-Team Doran Racing entwickelte eine Rennversion, den GT-R beziehungsweise Mk. VII in der Nomenklatur von Robertson Racing, die das Projekt vollendeten und den Wagen auch nach Le Mans brachten: 2011 wurden David und Andrea Robertson (unterstützt durch David Murry) als Underdogs Klassendritte in der GTE-Am-Kategorie – ausgerechnet an ihrem Hochzeitstag. Es war eine der Feel Good-Geschichten jener Ausgabe des 24 Stunden-Rennens.

Nachdem sich in den letzten Jahren Gerüchte gehalten hatten, Ford könne wieder werksseitig in Le Mans einstiegen – vielleicht sogar mit einem Prototypen oder mit einem Motor für die LMP2 – wurde im Sommer 2015 der neue Ford GT enthüllt. Der neue Wagen hebt sich stärker vom alten GT40 ab als der letzte Ford GT und ist auch insgesamt optisch und technisch fortschrittlicher, doch es ist immer noch eine Verwandtschaft erkennbar. Zusammen mit dem neuen Straßenwagen wurde auch die werksseitige Rückkehr nach Le Mans zum 50-jährigen Jubiläum des ersten Gesamtsieges verkündet.

Ein starkes Team…

Ford wollte es diesmal direkt beim ersten Versuch richtig machen. Mit dem kanadischen Automobilzulieferer Multimatic hat Ford seit Jahren einen starken Partner für den Aufbau seiner GT-Renner, dessen eigener Rennsport-Arm Multimatic Motorsports bereits einen Le Mans-Klassensieg auf dem Konto hat, und zwar in der LMP2 im Jahr 2000 mit einem Lola. Roush Yates Engines, bekannt als Fords Motorenbauer für die NASCAR, baut die Twin Turbo Ecoboost V6-Motoren mit 3.5l Hubraum. Und als Einsatzteam wurde Chip Ganassi Racing – Motorsport-Enthusiasten ebenfalls ein wohlbekannter Name als einer der großen US-Teambesitzer – auserkoren.

The four Ford GTs at Le MansBoss der Motorsport-Abteilung von Multimatic ist George Howard-Chappell, der bis 2011 dreizehn Jahre lang mit Prodrive hochklassige GT-Einsätze – zunächst für Ferrari, dann werksseitig für Aston Martin – betreut hat und mit beiden Herstellern Le Mans-Klassensiege einfuhr. Howard-Chappell ist zugleich Teamchef von Ford Chip Ganassi Racing, der neu aufgebauten Abteilung des berühmten US-Rennstalls, der die Einsätze des neuen Ford GT weltweit betreut. Weltweit heißt in diesem Fall, dass zwei Autos in der IMSA United Sportscar Championship antreten, während zwei weitere Fahrzeuge die volle WEC-Saison bestreiten; letztere werden in Greatworth nahe Silverstone, also in England, aufgebaut und betreut. In Le Mans werden alle vier Fahrzeuge am Start sein – mit den Startnummern #66, #67, #68 und #69.

…aber ein Debütsieg wäre ein Wunder

Die Nummern zeigen es: Wieder steckt ein großes Ziel hinter dem werksseitigen Angriff auf das 24 Stunden-Rennen – die Siege von damals sollen wiederholt werden. Aber Ford-Chef Bill Ford, Urenkel von Henry Ford und Neffe von Henry Ford II, sieht es realistisch. Er weiß, dass es zwei bis drei Jahre braucht, bis ein Neueinsteiger gegen erfahrene Konkurrenz tatsächlich siegen kann. Doch man möchte in der Lage sein, Ferrari, Corvette, Aston Martin und Porsche ein Rennen zu liefern. Dafür wurde der Ford GT konstruiert, der eigentlich ein GT-Prototyp ist; da die Straßenversion noch nicht verfügbar ist, brauchte Ford eine Ausnahmegenehmigung von ACO und FIA, um schon dieses Jahr antreten zu dürfen.

9d3232e6-700b-4b95-ade5-e0dda2c00edbJohn Hindhaugh von Radio Le Mans äußerte mehrfach die Vermutung, Ford werde versuchen, in den ersten Rennstunden eine Mehrfach-Führung zu erobern, um zum Redaktionsschluss der US-Zeitungen Material für Schlagzeilen liefern zu können. Man kann davon ausgehen, dass Ford bislang – zumindest bei den beiden bislang absolvierten WEC-Läufen – noch nicht sein volles Potenzial offenbart hat, um einer schlechteren Einstufung in der Balance of Performance zu entgehen oder gar noch eine bessere zu erreichen.

In den USA dagegen haben Ryan Briscoe und Richard Westbrook beim letzten Rennen in Laguna Seca den ersten Sieg für das Programm eingefahren. Doch entscheidend für Erfolg oder Misserfolg in einem 24 Stunden-Rennen ist auch heute noch die Zuverlässigkeit und Haltbarkeit der Technik über die lange Distanz bei voller Belastung – und hier zeigten sich beim 24 Stunden-Rennen in Daytona bei den Fords noch mannigfaltige Probleme. Ob man diese in den letzten viereinhalb Monaten ausgeräumt hat, wird sich in Le Mans zeigen.

„Go like hell!“

„Go like hell!“, soll Bruce McLaren seinem Teamgefährten Chris Amon bei einem Fahrerwechsel in der Nacht des 24 Stunden-Rennens in Le Mans 1966 auf dem Weg zum ersten Ford-Sieg zugerufen haben. Diese Devise gilt auch heute noch in Le Mans. Sie gilt sowohl in der LMP1, wo die Werksteams von Porsche, Audi und Toyota in einem massiven Wettrüsten gefangen sind und mit ihren hocheffizienten Hybrid-Maschinen um den Gesamtsieg kämpfen; sie gilt aber auch in der GTE-Pro-Klasse, wo die Werks- (oder werksunterstützten) Teams von Ferrari, Corvette, Porsche, Aston Martin und eben Ford um Sekundenbruchteile kämpfen. Die Balance of Performance sorgt dafür, dass die GTE-Rennen in der Regel über viele Stunden sehr eng bleiben, sodass hier großartige Zweikämpfe geboten werden dürften.

70fcac42-6c86-470d-9eaa-c8d803d18c56„Go Like Hell: Ford, Ferrari and their Battle for Speed and Glory at Le Mans” ist auch der Titel eines Buches von A.J. Baime aus dem Jahre 2009, das die Geschichte, die ich hier in Kurzform  dargelegt habe, in voller Gänze erzählt. Die Geschichte ist gut geschrieben und geht noch viel stärker auf die beteiligten Personen ein, darunter auch Beteiligte, die ich hier gar nicht erwähnt habe, wie John Surtees auf Ferrari-Seite und Ford-Mann Lee Iacocca. Darum möchte ich das Buch dem enthusiastischen Le Mans-Fan an dieser Stelle empfehlen. Aus der wechselvollen Geschichte des Ford GT40 kann man auch heute noch die eine oder andere Lehre ziehen: Wenn Ford sein GT40-Programnm damals so schnell eingestellt hätte wie Nissan sein LMP1-Programm im Vorjahr, wären wir heute um einige Geschichten (und Legenden) ärmer.

Le Mans 2016 im Racingblog

Die 24 Stunden von Le Mans stellen für uns hier im Racingblog einen der Höhepunkte des Motorsport-Jahres dar (für mich persönlich den Höhepunkt). Darum werden wir auch in diesem Jahr wieder mit viel Engagement in die Rennwoche gehen: Es wird ausführliche Vorschauen für alle der vier Klassen geben und Mitte der Woche ein Podcast-Special. Das Rennen selbst werden wir wie in jedem Jahr seit 2010 mit unserem Liveticker über die volle Distanz begleiten, bevor es am Tag danach die große Rennanalyse geben wird. Außerdem ist in Kürze auch die Teilnahme am Tippspiel in unserem Forum möglich.

Ich wünsche allen Lesern im Namen des Racingblog-Teams eine schöne Le Mans-Woche und ein spannendes Rennen!

(Bilder: Ford Deutschland Media)

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