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Feature: 24h of LeMons Series – Motorsport muss nicht teuer sein

von ThomasB
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Wir befinden uns im Jahre 2017. Der ganze Motorsport ist besetzt von Herstellern, reichen Sponsoren und Paydrivern… Der ganze Motorsport? Nein! Eine von unbeugsamen Hobbyrennfahrern gegründete Rennserie hört nicht auf, dem Werksmotorsport Widerstand zu leisten. Und das seit mittlerweile elf Jahren.

Die Rede ist natürlich von der 24h of LeMons Series, die 2006 von John „Jay“ Lamm in San Francisco gegründet wurde. Doch was heute eine Endurance-Meisterschaft ist, begann ursprünglich als eine Amateurrally in Kalifornien. Wie heute auch durften am Double 500, welches über 500 Kilometer über öffentliche Straßen führte, nur Wagen teilnehmen, deren Wert $500 nicht überstieg. Eines Samstagmittags, bei zu viel Bier und chinesischem Essen wie Lamm in einem Jalopnik-Interview berichtete, kamen er und eine Gruppe Gleichgesinnter aus San Francisco zu dem Schluss, dass das Double 500 zu einfach geworden ist. Denn für $500 einen Wagen zu finden, der zumindest 500 Kilometer schafft, ohne auseinanderzufallen, ist nicht gerade schwierig. Um Fahrer und Technik also vor eine größere Herausforderung zu stellen, musste etwas Anspruchsvolleres her. Lamm kam irgendwann auf die Idee, aus der Rally ein Ausdauerrenen zu machen und auf eine Rennstrecke zu verfrachten – die 24h of LeMons wurden geboren.

Zunächst wurden die Rennen noch im Altamont Motorsport Park und auf anderen Strecken in Kalifornien ausgetragen, doch mit steigender Beliebtheit begann man ab 2008, auch im Osten der USA Rennen auszutragen. Heute besteht die Meisterschaft aus 20 Events verteilt über diverse Rennstrecken in den gesamten Vereinigten Staaten. Zudem gibt es auch Ableger in Australien (seit 2015) und Neuseeland (2016), wo Rennen nach ähnlichem Reglement abgehalten werden. Der Name „LeMons“ ist natürlich eine Anspielung auf die 24h von Le Mans, aber auch auf den umgangssprachlichen Begriff „lemon“ für ein Auto, das viele Mängel aufweist. Auf Deutsch würde man Montagsmodell oder, um in der Obst- und Gemüseabteilung zu bleiben, Gurke sagen.

Teilnahmebedingungen

Wer an einem Rennen der 24h of LeMons teilnehmen will, muss aber auch hier zu erst etwas Geld in die Hand nehmen. Pro Fahrzeug ist eine Einschreibegebühr von $600 fällig, pro Fahrer $175 (ein Team muss aus vier bis sechs Fahrern bestehen), und pro nichtfahrendem Crewmitglied $75. Zudem braucht man – neben einem gültigen Führerschein – eine LeMons Competition Membership, die 60$ kostet. Von dem Geld werden die Registrierung an der Strecke, Fahrzeit, Paddock Pass, Versicherung, anwesende Rettungskräfte sowie Memorabilia bezahlt.

Aber das ist bei weitem noch nicht alles, denn viel wichtiger als Geld ist die Originalität der Teilnehmer. Bei der Einschreibung via Homepage muss beispielsweise angegeben werden, warum man sich für „cooler“ als alle anderen Kandidaten („lame-o’s“) da draußen hält. Nach der Entry Deadline gehen die Organisatoren die Bewerber durch und entscheiden, wer die originellste Bewerbung abgegeben hat und ihres Erachtens nach am besten zu den 24h of LeMons passt. Eine Bewerbung, in der einfach drinsteht, wie viel Erfahrung seine Crew von wo auch immer her hat und was man schon so alles gefahren ist, reicht also nicht.

Einen guten Einblick in das, was damit gemeint ist, erhält man, wenn man sich die Teams und ihre liebevoll „Crapcans“ genannten Fahrzeuge ansieht. Verrückte Verkleidungen, Lackierungen und Aufbauten sind mindestens genau so wichtig wie die Autos selbst. So kann man im Paddock die Crew aus Futurama, die Ritter der Kokosnuss, oder sämtliche Figuren der Sesamstraße antreffen. Bei den Fahrzeugen findet man neben Zeppelinen, Space Shuttles oder Schiffen auch Parodien auf legendäre Rennwagen oder Filmautos, oder auch einfach Eigenkreationen.

Nicht zugelassen sind vor allen Dingen Nörgler, schließlich soll ja der Spaß im Vordergrund stehen. Sollte man sich doch einmal beschweren, kann das Strafen nach sich ziehen. Dazu komme ich aber später noch einmal.

Technisches Reglement

Bei Rennen mit $500-Hobeln könnte man meinen, dass das Reglement relativ simpel ist. Tatsächlich ist es ziemlich umfangreich, gerade was Sicherheitsvorschriften angeht. Deswegen liste ich an dieser Stelle nur die wichtigsten Regeln auf.

Die erste habe ich ja oben bereits genannt: Ein Wagen darf nicht mehr als $500 kosten. Und damit sind auch sämtliche zusätzliche Teile und Anbauten sowie Arbeitsaufwand und Sponsoring gemeint. Zudem darf man auch nicht einfach sein Alltagsauto umfunktionieren oder auf geschenkte Autos oder Teile zurückgreifen. Es zählt immer der zuletzt gezahlte Preis, den jemand dafür bezahlt hat. Ausgenommen sind sicherheitsrelevante Teile und Equipment wie zum Beispiel Überrollkäfig, Feuerlöscher, Sitze, Fünf- oder Sechspunkt-Gurte, Nackenschutz, Helme und Rennanzüge, aber auch Bremsen, Räder und (Serien-)Reifen (min. 190mm breit; Rennreifen sind verboten). Die Homepage der 24h of LeMons hilft da aber netterweise bei der Suche nach günstiger Ausrüstung aus. Es ist übrigens auch möglich, ein Auto zu kaufen, das über dem $500-Limit liegt, und sämtliche nicht benötigten Teile zu verkaufen. Das dabei wieder eingenommene Geld wird dann vom Kaufpreis abgezogen.

Mit welcher Art von Fahrzeug man teilnimmt, ist (beinahe) egal. Das gewählte Auto muss aber aus Serienfertigung stammen und eine Straßenzulassung gehabt haben. Zudem sind vier Räder und eine dem Reglement entsprechende Sicherheitsausrüstung (pdf) vorgeschrieben. Man merkt also, dass Sicherheit auch hier groß geschrieben wird. Ob man also für ein paar Dollar einen abgewrackten Sportwagen, einen Kombi oder eine Stretch-Limousine findet – rüstet man das Fahrzeug entsprechend aus, kann es eigentlich losgehen.

Doch vorher muss man auch bei den LeMons durch die Abnahme – Wagenheber sind selber mitzubringen. Wird dabei festgestellt, dass ein Auto über dem Preislimit liegt, kommt auch hier eine Balance of Performance zu tragen, oder wie man bei den LeMons sagt: der Bullshit Factor (BSF). Für jeden zehnten Dollar, den man über der Grenze liegt, bekommt man eine Rennrunde abgezogen. Desweiteren behalten sich die Organisatoren vor, nach einem Rennen einen Wagen für $500 zu kaufen, sollten sie der Meinung sein, dass jemand versucht hat zu betrügen. Bislang ist dies jedoch nur zweimal passiert.

Nach der Abnahme wird das Feld in Klassen eingeteilt, die man sich an Ort und Stelle aus der Nase zieht. (Im Regelwerk steht „pulled from our butts“, aber das nur nebenbei.) In Klasse A kommen Autos, die eine realistische Chance auf den Gesamtsieg haben. Gewinnt man diese, beträgt das Preisgeld $400. Klasse B sind Autos, denen man zumindest den Zieleinlauf zutraut, das Preisgeld sind hier $500. Ein Auto der Klasse C ist schlicht und einfach ein hoffnungsloser Fall. Als Klassensieger dieser Kategorie winken am Ende aber immerhin $600. Wer mit der Einstufung seines Autos nicht einverstanden ist, wird schlicht und einfach in die nächstschnellste Klasse hochgestuft.

Die Rennen

Die Rennen der 24h of LeMons tragen wahrscheinlich in Anlehnung an die durchgesponserten Rennen der NASCAR und IndyCar ziemlich eigentümliche Namen. Oft wird dabei auf örtliche Besonderheiten oder Popkultur Bezug genommen, oder auch einfach der Ort der Rennstrecke in ein Wortspiel eingebaut. So heißt das Rennen in New Jersey „The Real Hoopties of New Jersey“, im Ridge Motorsport Park (Washington) wird der „Pacific Northworst GP“ ausgetragen, und das Rennen im MSR Houston hört auf den Namen „Houston We Have A Problem“. Mein Favorit ist allerdings das „Sears Pointless“ im Februar in Sonoma.

Jedes Rennen dauert meistens insgesamt um die 14,5 Stunden, verteilt auf Sessions am Samstag und Sonntag, die jeweils sechs bis zehn Stunden lang sein können. Die Länge der Rennen und der Sessions variiert allerdings je nach Event. Einmal im Jahr wird zudem ein „klassisches“ 24h-Rennen ausgetragen.

Zweckoptimismus.

Die Rennen werden gestartet, indem zunächst alle Teilnehmer unter Full Course Yellow auf die Strecke geschickt werden, wo sie bis zu 20 Minuten lang Einführungsrunden fahren. Die dauern so lange, weil die Rennleitung erst die Transponder in den Fahrzeugen testen muss, um die Zeitnahme einzurichten, und das kann bei über 100 Autos schon mal dauern. (Die 24h of LeMons halten auch den Weltrekord für das Autorennen mit den meisten Entries. Im September 2014 nahmen am „Vodden the Hell Are We Doing?“ in Thunderhill 216 Autos teil.)

Sobald die Zeitnahme funktioniert, wird einem beliebigen (!) Fahrzeug die grüne Flagge gezeigt, und das Rennen geht los. Gesamt- und Klassensieger sind logischerweise immer diejenigen, die am Ende der Zeit die meisten Runden gefahren sind, abzüglich der Strafrunden (Winner on Laps).

Strafen und Awards

Seriengründer Jay Lamm mit den Awards.

Während und nach dem Rennen werden von den Organisatoren Awards und Strafen ausgesprochen. Für die Awards gibt es zudem Preisgelder, die wie die Siegprämien ausschließlich in 5-Cent-Stücken ausgezahlt werden. Gründer Jay Lamm wollte nicht, dass die Teilnehmer die Rennen allzu ernst nehmen oder sogar auf den Gedanken kommen könnten, bei den Rennen auch noch Geld zu machen. Für Lamm hat dies aber auch einen nicht unerheblichen Aufwand zur Folge. Bei insgesamt $3000 an ausgezahltem Preisgeld pro Rennen, heißt das, dass er jedes Mal über 500 Kilogramm an Münzen von der nächsten Bank zur Rennstrecke transportieren muss. Das hatte er vorher natürlich nicht bedacht, was ihm auch einmal die Federung an seinem Volvo kostete.

Die Awards variieren ebenfalls von Event zu Event, es gibt aber vier „Hauptawards“, die bei jedem Rennen vergeben werden. Mit dem „Organizer’s Choice Award“ prämieren die Organisatoren das Team, das am ehesten dem Spirit des Rennens entsprochen hat. Den „Most Heroic Fix Award“ gibt es für die aufopferungsvollste Reparatur, wenn man zum Beispiel sein eigenes Alltagsauto ausschlachtet, um das Rennen beenden zu können. Der „I Got Screwed Award“ geht an diejenigen, die ihren Wagen quasi kaputtrepariert haben, oder auch wenn man haushoch überlegen war und dann mit dem Sieg vor Augen plötzlich liegen bleibt. Toyota hätte diesen Award bei den letzten 24h von Le Mans ohne Zweifel gewonnen.

In den Kartons befindet sich das Preisgeld in 5-Cent-Münzen.

Der wichtigste Award ist aber der „Index of Effluency“, durch den der „wahre“ Gewinner des Rennens ermittelt wird. Dies ist eine supergeheime Formel, in der Alter und Grad des Verfalls (hooptieness) des Fahrzeugs, Zuverlässigkeit des Herkunftslandes des Herstellers, Erfolgs-Unwahrscheinlichkeit und anderweitige Einfälle der Organisatoren berücksichtigt werden. Für diesen Index werden also Fahrzeuge nominiert, denen niemand zutraut, dass sie die volle Renndistanz schaffen, geschweige denn überhaupt eine vernünftige Anzahl an Runden schaffen. Der Gewinner dieses Awards bekommt $601 und das Team eine kostenlose Teilnahme am nächsten Rennen, an dem es sich wieder anmeldet. Beim letzten Rennen (dem Arizona D-Bags in Wilcox, AZ) war das ein Volvo PV544 von 1961.

Für die Strafen haben sich die Organisatoren einen revolutionären Strafenkatalog ausgedacht. Wird ein Fahrer per schwarzer Flagge herausgewunken, beispielsweise wegen eines Vergehens auf der Strecke, muss er unverzüglich die Penalty Box in der Boxengasse aufsuchen, wo einen die Richter bereits erwarten. Dort findet er das „Wheel of Misfortune“ vor, auf dem die verschiedensten Strafen aufgeführt sind. Auch hier ändern sich die Strafen je nach Austragungsort, denn wie die Namen der Rennen beziehen sich die Strafen auf örtliche Besonderheiten, aktuelle Themen oder Popkultur.

Ziel der Strafen ist es, schlechten Fahrern mit möglichst sinnfreien Strafaufgaben möglichst viel Zeit zu stehlen. So gibt es zum Beispiel „Mime your Crime“, bei dem man sein Vergehen pantomimisch darstellen muss, samt Verkleidung und Schminke. Bei „Taiwanese National Anthem“ bekommt man einen Autoalarm mit sechs verschiedenen Tönen ins Auto, der so lange läuft, bis das Auto die Strecke verlässt, und auf das Dach kommt zusätzlich als Warnung für die anderen Fahrer die Flagge Taiwans.

Aber auch Strafen wie „Chemical Ali“ (50 Duftbäume werden im Auto platziert) oder „Max Mosley Penalty“ hat es schon gegeben. Zudem können auch einfach Gegenstände im oder am Auto angebracht werden, die die Performance beeinflussen sollen. Beispielsweise werden große Metallsilhouetten von Tieren auf das Dach geschweißt.

Eine weitere Strafe nennt sich „Why Am I Upside Down?“: Hat man sich überschlagen, wird man nicht nur vom laufenden Rennen ausgeschlossen, der jeweilige Fahrer wird auch noch für den Rest des Jahres gesperrt. Abgesehen davon wird sofort jeder disqualifiziert, dessen Auto für andere eine Gefahr darstellt. Gleiches gilt für rücksichtslose oder anderweitig gefährliche Fahrweise.

Die Organisatoren (und Teilnehmer) der 24h of LeMons Series beweisen, dass Motorsport nicht immer teuer sein muss, und auch mit jeder Menge Spaß ausgeübt werden kann. Wer sich davon selbst ein Bild machen will, kann sich Rennen auf racecast.me anschauen, denn ich bezweifel jetzt einmal, dass man extra für LeMons in die USA reist. Falls es doch jemand vorhat: Der Eintritt kostet $30, die Tickets gelten für das gesamte Rennwochenende, und man hat natürlich unbegrenzten Zugang. Zudem ist der YouTube-Kanal der LeMons wirklich sehenswert.

Das nächste Rennen der LeMons findet übrigens am kommenden Wochenende auf dem Gingerman Raceway in South Haven, Michigan statt. Ich hoffe, dass der Artikel euer Interesse an der Serie geweckt hat und wir euch weitere Artikel dieser Art werden liefern können.

Bilder: 24 of LeMons Series

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