Home Formula E Formula E: Analyse Mexico City ePrix – Mit Mut und Glück zum Sieg

Formula E: Analyse Mexico City ePrix – Mit Mut und Glück zum Sieg

von StefanTegethoff
0 Kommentare

Dank einer mutigen Taktik und einer aufopferungsvollen Fahrt des ebenso mutigen Jerome d’Ambrosio konnte Lucas di Grassi in Mexico City seinen ersten Saisonsieg einfahren – und den Rückstand auf Sebastien Buemi deutlich verringern, der im Rennen patzte.

Wie im Vorjahr – ich hatte in der Vorschau eine kurze Zusammenfassung des 2016er Rennens gegeben und das Highlights-Video verlinkt – hat uns der Mexico City-ePrix wieder ein aufregendes und einigermaßen kontroverses Rennen beschert. Drei Safety Car-Phasen dürften Rekord für die Formula E sein, und diese halfen Lucas di Grassi, nach einem Missgeschick in der Startphase noch von ganzen hinter den Sieg zu erringen. Der Meisterschaftsführende Sebastien Buemi dagegen verspielte selbst die Chance auf wenige Punkte durch ein übereifriges Manöver – und plötzlich ist die Meisterschaft doch wieder völlig offen.

Training & Quali

Dabei hatte der Schweizer die Trainingssessions noch dominiert, doch im Laufe des Tages – denn die Formula E-Events finden stets komplett an einem Tag statt – wurde er von der Konkurrenz einge- und überholt. In der Gruppen-Qualifikation reichte es nur zu Rang 10, für seinen härtesten Konkurrenten nach Punkten, Lucas di Grassi, gar nur für Rang 18. Beide mussten in der ersten Quali-Gruppe ran, als Luft und Strecke noch etwas kühler und die Luftfeuchtigkeit etwas höher waren; Bester aus der Gruppe sollte Nick Heidfeld auf Rang 6 werden, Buemi und die Grassi bauten bei den etwas schwierigeren Streckenbedingungen jeweils einen kleinen Fehler ein, doch der generelle Rückstand des Brasilianers blieb unerklärt.

Zwar schaffte es sein Teamkollege Daniel Abt in die Super Pole-Sessions und schließlich auch auf die Pole, doch seine Zeiten können als Maßstab nicht herangezogen werden: Abts Reifendruck war zu niedrig, damit der Grip höher und somit wurden seine Zeiten gestrichen. Nur weiteren Strafversetzungen und dem Quali-Crash von Loic Duval, der damit keine Zeit setzen konnte, ist es zu verdanken, dass er nicht vom allerletzten Startplatz starten musste.

Die Strecke war gegenüber dem Vorjahr modifiziert worden: Die erste Schikane – am Ende von Start/Ziel – war 2016 noch eine gute Überholmöglichkeit gewesen, da man in einem schnellen Rechtsknick für die Links-Rechts-Kombination anbremsen musste. In diesem Jahr fuhren die Piloten geradewegs auf sich verengender Fahrbahn auf eine stumpfwinklige Rechtskurve zu, die offensichtlich weder leicht anzubremsen noch leicht zu durchfahren war, allerdings zu schnell, um einen wirklichen Ausbremspunkt darzustellen. Der herausfordernde, schnelle Charakter der Kurve sorgte allerdings dafür, dass die 180°-Vollgas-Ovalkurve danach zur besten Überholmöglichkeit des neuen Layouts wurde. Der Großteil der fahrerischen Interaktion fand somit ausgangs der verschiedene Linien zulassenden Ovalkurve hin zur engen zweiten Schikane statt.

Die Startphase

So auch am Start. Der verlief auf der Geraden und eingangs Kurve 1 noch recht zahm, doch in dem 180°-Bogen, beim Anbremsen zur Schikane und beim Durchfahren dieser kam es zu sehr viel Kontakt und fliegenden Aero-Teilen. Diese Debris löste schnell die erste Gelbphase aus, und das völlig zu Recht. Lucas di Grassi hatte es besonders schlimm erwischt: Im Rückstau in der engen Links der Schikane berührte ihn Stephane Sarrazin am Heck und so verlor er nicht irgendein unbedeutendes Aero-Element, sondern sein Heckflügel hing schief und drohte abzubrechen. Ein zeitaufwändiger Boxenstopp mit Flügeltausch – der am Heck schwieriger ist als an der Front – war die logische Konsequenz, doch dank langsamer Fahrt auf der Strecke verlor er keine Runde.

Vorn zog – wie am Start – auch nach dem Restart wieder Oliver Turvey im NextEV-Auto souverän davon, bis in Runde 13 beim Herausbeschleunigen aus Turn 1 die Leistung ausblieb und er ausrollte. Relaunch-Versuche scheiterten, der Führende war gestrandet und das Safety Car kam zum zweiten Mal auf die Strecke. Einen genauen Grund für das erste punktelose Rennen von Turvey benannte das chinesische Team nicht.

Die Gelbphase kam spät, weil das Auto nicht in unmittelbar gefährlicher Position stand und die Rennleitung zunächst abzuwarten schien, ob er sich aus eigener Kraft wieder bewegen könne – doch schließlich musste das Safety Car auf die Strecke, um den Wagen in Sicherheit zu bringen. Diese etwas verspätete Gelbphase verleitete das Abt Schaeffler-Team zu einer gewagten Strategie: In Runde 17 von 45, also deutlich vor Rennhalbzeit, kam Lucas di Grassi erneut an die Box und stieg in sein zweites Rennfahrzeug. Beim Restart war er gerade wieder am Ende der Perlenkette, würde nun allerdings sparsam mit seiner Energie umgehen müssen, um mit den vorgegebenen 28 kWh durch die noch verbleibenden 28 Runden zu kommen.

Jerome d’Ambrosio als di Grassis Verteidiger

Sein großes Glück: Dragon Racing wählte für Jerome d’Ambrosio die gleiche risikoreiche Taktik, und den Belgier, der das Vorjahresrennen nach Disqualifikation von di Grassi gewann, konnte der Audi-Pilot in Runde 23 überholen. In den Runden 25 und 26 – durch die Safety Car-Phasen etwas verzögert – kamen die übrigen Piloten zum Fahrzeugwechsel in die Box und di Grassi und d’Ambrosio wurden wie geplant nach vorn gespült. Ab Runde 27 führten die beiden mit gut einer halben Minute Vorsprung vor dem Rest des Feldes und es schien so, als könne sich Lucas di Grassi etwas absetzen und gleichzeitig mehr Energie sparen.

Doch dann wurde es nochmal spannend, als d’Ambrosios Teamkollege Loic Duval ausgangs der zweiten Schikane stehen blieb, scheinbar ohne Energie, wie zuvor Oliver Turvey. Er sollte zwar wieder vom Fleck kommen, doch erst als die Rennleitung das Safety Car bereits erneut auf die Bahn geschickt hatte. Damit wurde das Feld wieder zusammengeführt und die Fahrzeuge auf der Standard-Strategie, angeführt von dem von P2 gestarteten Jose Maria Lopez, lagen plötzlich wieder direkt hinter den beiden Führenden, die nach dem frühen Stopp ca. 20% weniger Energie in den Batterien hatten.

Doch nach dem Restart machte Jerome d’Ambrosio das, was ihn schon im Vorjahr zum Sieg in Mexico City geführt hatte: Er fuhr Kampflinie, Runde um Runde, und ließ keinen Gegner vorbei. Die missglückten Versuche von Lopez führten sogar dazu, dass dieser sich noch mit harten Bandagen gegen Jean-Eric Vergne im Techeetah-Renault wehren musste. In Runde 35 hatte Lopez genug und versuchte beim Anbremsen zur schwierigen ersten Kurve außen (!) auf gleiche Höhe mit d’Ambrosio zu kommen (was bei einer stumpfwinkligen, recht flotten Kurve ohnehin hoffnungslos ist), kam dabei auf den Dreck am Fahrbahnrand und drehte sich.

Überraschenderweise passierte das gleiche nur wenige Sekunden später dem Meisterschaftsführenden Sebastien Buemi, der bei seinem Dreher Lopez zum Glück verfehlte, sodass es nur in einem hübsch anzusehenden Paartanz resultierte. Beide wurden wohl auch Opfer des Umstandes, dass die Piloten in einem Formula E-Rennen selten wirklich hart auf die Bremsen steigen, sondern vor allem über „Lift & Coast“ und die Motorbremse die Geschwindigkeit verringern, um Energie zu sparen und rückzugewinnen, sodass die Bremsen kalt werden.

Buemi und Prost sorgen für Chaos

Aus einem Mittelfeld-Ergebnis mit einem, zwei oder vielleicht drei möglichen Punkten wurde somit ein Nuller für Sebastien Buemi. Sein Titel-Konkurrent di Grassi dagegen profitierte von d’Ambrosios Verteidigungsmanövern und konnte bei sparsamem Umgang mit seinem Energievorrat einen Vorsprung herausfahren, der in Runde 42, also drei Umläufe vor Schluss, 5,5 Sekunden betrug. Dann endlich schaffte es Jean-Eric Vergne, mit einem guten Run durch Turn 1 in der folgenden Ovalkurve an Jerome d’Ambrosio vorbeizuziehen, der zu diesem Zeitpunkt bereits massiv Energie sparen musste; seine Manöver hatten ihn deutlich mehr gekostet, als er hätte verbrauchen dürfen, um konstant weiter bis zum Ende fahren zu können. Ihm ging die Energie schließlich auch noch vor der Ziellinie aus und er wurde weit durchs Feld durchgereicht, sodass ihm sein harter Kampf keine Punkte einbrachte.

Viele Punkte hätte das Mahindra-Team kassieren können, in Runde 41 von 45 lagen Nick Heidfeld und Felix Rosenqvist auf den Rängen 5 und 6. Doch dann versuchte Nicolas Prost, der sonst oft unauffällige Rennen fährt und diese regelmäßig auf Platz 4 beendet, ein paar mehr Punkte für das Renault e.dams-Team zu retten: Erst überholte er Rosenqvist und dann versuchte er, eingangs des Stadions in einem übereifrigen Manöver an Nick Heidfeld vorbeizugehen. Der Deutsche wurde getroffen, dreht sich in der Kurve quer auf die Strecke und wurde in der Folge erst von Mitch Evans – auf dem Weg zur besten bisherigen Platzierung für Jaguar – und dann von seinem Teamkollegen Rosenqvist getroffen. Evans hatte Glück und konnte das Rennen noch auf Rang 4 beenden, doch beide Mahindras fielen schwer beschädigt aus den Punkterängen.

Eine erneute Safety Car-Phase blieb aus, da die Rennleitung der Ansicht war, dass trotz des herumliegenden Debris im Stadion die letzten zwei Runden unter lokalen gelben Flaggen ohne Gefahr absolviert werden könnten, doch auch ohne Neutralisierung des Rennens war Lucas di Grassi der Sieg nicht zu nehmen. Die Taktik des Abt Schaeffler-Teams zahlte sich aus, aber dass sie tatsächlich zum Sieg reichte, hat der Brasilianer wohl der aufopferungsvollen und am Ende unbelohnten Fahrt von Jerome d’Ambrosio zu verdanken, der ihm die Konkurrenz vom Leibe hielt.

In der Tabelle wird es enger…

So konnte Lucas di Grassi nach all dem Chaos 25 Punkte einsacken – und wurde diesmal auch nicht nachträglich disqualifiziert. Sebastien Buemi konnte nicht mehr tun, als sich kurz vor Schluss nach seinem selbstverschuldeten Dreher noch die schnellste Rennrunde und damit einen Zusatzpunkt zu sichern, doch mit 25:1 ging das Wochenende deutlich zugunsten di Grassis aus: 76:71 lautet der neue Meisterschaftsstand, noch liegt der Schweizer vorn. Doch Mexico City hat gezeigt, wie schnell sich das Blatt mit kleinen Fehlern auf der einen und etwas Glück und Mut auf der anderen Seite wenden kann.

Für die beiden Top-Teams, die auch in der Mannschaftswertung vorn liegen, kamen weitere Punkte hinzu: Bei Renault e.dams holte diesmal der ungeschoren davon gekommene Unfallverursacher Nicolas Prost das Gros der Punkte, nämlich zehn Zähler, für Abt Schaeffler addierte Daniel Abt nach starker Fahrt von ganz hinten auf Rang 7 noch sechs Zähler hinzu. Somit hat auch in dieser Wertung das deutsche Team aufgeholt, doch hier steht es mit 122:91 noch deutlich zugunsten von Renault. Doch noch sind acht Rennen zu fahren…

…und der nächste Lauf wird in Monaco ausgetragen, auf der verkürzten Variante des Grand Prix-Kurses. Die Kurzanbindung hat schon beim bisher einzigen ePrix dort für Chaos gesorgt, als es ausgangs der längeren und langsameren Sainte Devote einen Auffahrunfall gab, zu dessen Opfern unter anderem Daniel Abt gehörte. Leider vergehen wieder sechs Wochen bis zu diesem Lauf, doch dann startet die Formula E Saison endlich richtig durch: Zwei Drittel der Saison stehen noch aus und die werden zwischen Mitte Mai und Ende Juli ausgetragen – und diese werden dann in Deutschland auf DMAX übertragen. Der 13. Mai ist das Datum des Monaco ePrix und schon eine Woche später steht dann Paris auf dem Plan. In Monaco siegte beim bisher einzigen Lauf Sebastien Buemi, beim ersten Paris-ePrix letztes Jahr Lucas di Grassi. Die Spannung bleibt hoch…

(Bilder: Formula E Media)

Das könnte Dir auch gefallen