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In eigener Sache: Warum wir keine Unfallbilder zeigen

von DonDahlmann
14 Kommentare

Es gab ein paar, aber erfreulich wenig Anfragen, ob wir Bilder des Unfalls von Jules Bianchi zeigen oder ob wir eine Quelle kennen. Ich möchte unsere Politik diesbezüglich noch einmal klarstellen.

Als ich dieses Webzine vor ein paar Jahren gegründet habe, war eine der ersten Fragen, die ich mir gestellt habe, jene, wie ich mit Unfallbildern umgehe. Wie ich überhaupt mit Bildern von zerstörten Fahrzeugen umgehen möchte. Eine Antwort darauf ist weit weniger einfach zu finden, als man glaubt. Als Journalist steckt man ein wenig in der Zwickmühle. Einerseits will man berichten und Unfälle, nebst der Bildern, gehören zum Motorsport. Auf der anderen Seite habe ich ein ambivalentes Verhältnis zum „Katastrophen-Voyeurismus“, der aber, da muss man ehrlich sein, mal mehr, mal weniger in uns allen steckt.

Dieser „Katastrophen-Voyeurismus“ ist von den meisten Menschen nicht mal böse gemeint. Die Schwere eines Unfalls wird für viele Menschen erst dann verständlich, wenn man die Bilder dazu sehen kann. Viele haben, und ich meine das nicht böse, die Vorstellungskraft dafür verloren, wie es aussehen kann, wenn ein Fahrzeug bei hoher Geschwindigkeit einen Unfall hat. Unsere mediale, auf Bildern aufgebaute Welt, hat uns in diesem, wie in vielen anderen Bereichen, die Vorstellungskraft geraubt. Manche Menschen, besonders jene, die sich nur selten mit Motorsport beschäftigen, können die Schwere eines Unfalls erst dann bemessen, wenn sie die dazu gehörigen Bilder und Videos sehen. Das führt dann zu der vielleicht etwas schizophrenen Situation, dass in einem Posting ein fürchterliches Video verteilt wird, während man gleichzeitig erschüttert dem Fahrer eine baldige Genesung wünscht. Man sollte da nicht den Stab über jemanden brechen, denn wir waren schon einmal alle in der Situation. Spätestens am 11.09.2001 als wir die Bilder aus New York gesehen haben. Wir konnten unseren Blick nicht abwenden und waren uns doch bewusst, dass da gerade, live im Fernsehen, Menschen starben, indem sie verbrannten, aus dem Fenster sprangen oder von den zusammenstürzenden Hochhäusern erschlagen wurden. Aber wir brauchten die Bilder auch, um zu verstehen, was da gerade passierte.

Ich verurteile also niemanden, der diese Redaktion fragt, ob wir die Bilder des Unfalls von Jules Bianchi zeigen werden. Aber die Antwort ist immer gleich: Nein.

Die Politik bezüglich Bildern oder Videos von Unfällen ist einfach: Wenn die Gesundheitssituation eines Unfallbeteiligten unklar ist und wenn wir nicht wissen, ob der Unfall schwere, bleibende Schäden hinterlässt, werden wir keine Bilder zeigen.

Wir zeigen sehr wohl Bilder von Unfällen, bei denen niemand zu Schaden gekommen ist oder nur leicht verletzt wurde. Beispiele dafür finden sich im Bilderarchiv. Wir zeigen sie meist dann, wenn wir anhand der Bilder und Videos besser analysieren können, was genau da passiert ist. Und ja, es mag etwas schizophren sein, aber wir zeigen sie auch, wenn sie „spektakulär“ aussehen, wie jene, die man meist mach einem „Big One“ in der NASCAR zu sehen bekommt. Aber auch hier gilt: Diese Bilder werden nur gezeigt, wenn klar ist, dass alle Beteiligten heil davon gekommen sind. Diese Politik gilt für all unsere Kommunikationskanäle, auch (und ganz besonders) für den Chat. Alle Admins werden unangebrachte Links zu Fotos oder Videos sofort löschen.

Das bedeutet nicht, dass wir über den Unfall nicht berichten. Unsere Berichterstattung ist dabei klar aufgeteilt:

1. Wir berichten per Twitter oder über Liveticker im Blog über folgende Dinge:
a) Was ist passiert?
b) Wie geht es dem Fahrer?
Wenn wir nicht selber vor Ort sind (wie im letzten Jahr bei Unfall von Alan Simonsen) verlassen uns dabei auf verlässliche, vertrauenswürdige Quellen. Das können Institutionen sein (FIA, IMSA, NASCAR, ACO usw.), die Teamverantwortlichen, nahe stehende Personen (Partner, Manager usw.), einige Newsportale (Autosport, AMuS, Motorsport-Total usw.) und, etwas eingeschränkt, Journalisten. Bei den Journalisten verlasse ich mich entweder auf jene, die ich selber kenne und schätze (James Allen, Adam Cooper, Will Buxton, John Hindhaugh und ein paar andere mehr) oder auf jene, die sich im Laufe der Jahre als verlässliche Quelle erwiesen haben.

2. Wir berichten über die Unfallursache bzw. den Unfallhergang, weil das zum nachfolgenden Punkt gehört.

3. Wir analysieren, welche Konsequenzen aus einem Unfall gezogen werden sollten oder gezogen werden müssen.

Zum zweiten Punkt muss ich erwähnen, dass wir uns Unfallbilder und Videos anschauen. Es ist leider in den meisten Fällen unerlässlich, um den Unfallhergang wahrheitsgemäß schildern zu können. Denn oft sind es ja mindestens zwei Piloten, die an einem Unfall beteiligt sind. Sich die Bilder des Unfalls anzuschauen, ist oft nicht einfach, gerade wenn jemand zu Schaden gekommen ist. Es hat mich ein paar Tage und einiges an Überwindung gekostet, mir die Aufzeichnung des Unfalls von Dan Wheldon anzuschauen, aber ich wusste auch, dass ich als Journalist hier auch eine Pflicht habe. Nämlich zu verstehen, was genau da eigentlich passiert ist, um mit dem Wissen eine Analyse schreiben zu können. Für mich persönlich ist die Entscheidung, was ich mir anschaue, schon schwer genug. Aber ganz bestimmt will ich nicht auch noch die Bilder von einem Unfall verteilen.

Wir werden diese Politik auch in Zukunft hier genauso weiterführen. Es wird keine Ausnahmen geben.

Keep fighting, Jules!

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14 Kommentare

ethone 6 Oktober, 2014 - 22:24

Ich kann deine und eure Position nachvollziehen, auch wenn ich sie nicht teile.

Der Begriff des Voyeurismus stört mich dann aber doch. Um mir eine eigene Meinung bilden zu können muss ich mich der Primärquellen bedienen. Wenn ich darauf vertraue, dass mir andere Quellen den Ablauf der Dinge erklären kann ich mir keine verlässliche, eigene Meinung bilden. Wie kann ich auch nur irgendeine belastbare Meinung zur möglichen Verhinderung von Unfällen bilden (oder kommunizieren), wenn ich den Verlauf der Unfälle nicht kennen kann?

Voyeurismus entsteht für mich erst dort, wo das Bildmaterial als Primärquelle bewusst sensationalisiert als Zugpferd instrumentalisiert wird. Das ist dann aber auch kein Vorwurf an etwaige, an der eigentlichen Sache eher desinteressierten, Konsumenten, sondern an diejenige Medien, die so etwas praktizieren.

Xander 6 Oktober, 2014 - 22:37

Ich empfinde Eure Politik als genau richtig! Ich habe mir das heute aufgetauchten Video zwar auch angesehen, um besser zu verstehen, was genau passiert ist, musste aber auch arg schlucken. Mit derartigen Bildern „Auflage“ zu machen empfinde ich als niveaulos und unredlich. Es hatte schon gute Gründe, warum die Bilder nicht im TV gezeigt wurden. Als Medium habt Ihr da sicherlich auch eine gewisse Verantwortung. Die Tagesschau z.B. ist meines Erachtens zu weit gegangen, indem sie Fotos des unter dem Bergungsfahrzeug eingeklemmten Autos gezeigt hat.

DonDahlmann 6 Oktober, 2014 - 23:58

@ ethone:
Natürlich braucht man Primärquellen, wenn man sich ein eigenes Bild machen will. Deswegen schauen wir uns die Sachen ja auch an. Aber ich muss hier abwägen, ob ich derartige Bilder zeige und mich, die Redaktion und die Seite dem Vorwurf der „Sensationsgeilheit“ aussetze, oder ob ich anders an die Sache herangehe. Mit der Veröffentlichung von derartigen Bildern locke ich auch ein gewisses Publikum an.

Im Fall Bianchi ist es auch noch so, dass die FIA und fast alle Outlets auf eine Veröffentlichung von Fotos und Videos die den Wagen genau zeigen, verzichtet haben. Aus guten Gründen, wie ich finde. Die „Bild“ hat das Video auf der Seite mit den Worten „Horrounfall“ und „Videobeweis“. Das ist Voyeurismus.

Deutscher Auto Blogger Digest vom 06.10.2014 › "Auto .. geil" 7 Oktober, 2014 - 04:11

[…] RacingblogIn eigener Sache: Warum wir keine Unfallbilder zeigenEs gab ein paar, aber erfreulich wenig Anfragen, ob wir Bilder des Unfalls von Jules Bianchi zeigen oder ob wir… […]

nona 7 Oktober, 2014 - 08:06

Ich finde es prinzipiell in Ordnung, hier keine Bilder zu zeigen (wer trotzdem unbedingt welche sehen will: sowas gibt’s im Internet, hab‘ ich mal gehört). Man muss auch immer ein wenig differenzieren, was für Bilder gemeint sind – Bilder vom Unfallhergang, vom Fahrzeug, vom Fahrer, vom Helm, in was für zeitlichem Abstand, etc. In einer Privatgarage nahe Monza liegt heute noch der Unfallwagen von Jochen Rindt. Der ist auch im zeitlichen Abstand immer noch tragisch anzusehen, ich wüsste aber nicht warum davon kein Bild zeigen sollte. Das ist ein interessantes Stück Zeitdokument.

Stark differenzieren muss man natürlich auch die Ambivalenz der Motivation, sich sowas ansehen zu wollen. Sicher gibt es sowas wie Katastrophen-Voyeurismus und -Tourismus, und „Gaffer“ bei Unfällen. Aber aus der gefühlsarmen öffentlichen Reaktion mancher Leute sollte man keine allgemeingültigen Schlüsse ziehen. Es liegt in unserer Natur, dass wir uns für das Schicksal unserer Artgenossen interessieren, gerade wenn es um existentielle Abgründe geht. Man nennt das „Mitgefühl“ und der Mangel daran ist in meinen Augen schlimmer als der Wille, sich sowas anzusehen. Von daher geht mir das sehr wohlfeile aber vielfach praktizierte Verdammen und Verteufeln von „Gaffern“ und ähnlichen etwas gegen den Keks, da es zu sehr über einen Kamm schert und individuelle und grundlegende Motivationen einfach ignoriert. So ein hohes Ross steht keinem Hintern gut.

(War übrigens der 11.09. – der 09.11. ist auch wichtig, aber aus anderen Gründen. :)

Jens 7 Oktober, 2014 - 10:45

Die Meinung zum Katastrophen-Voyeurismus teile ich, leider werden viele, die sich mit Motorsport nie befassen, dann plötzlich auf darauf aufmerksam und es gibt nicht wenige, die sich dann auf die Suche nach entsprechenden Bilder und Videos begeben. So leider auch in vielen Medien, daher finde ich die Art der Berichterstattung auf racingblog in dieser Form genau richtig, fernab des guten alten „only bad news are good news“.

In diesem Sinne, Keep Racing und #ForzaJules

NoteMe 7 Oktober, 2014 - 10:47

Ich versteh es nicht, durch das nicht zeigen von Bildern geht es Jules Bianchi keinen Deut besser, allein dem Leser werden objektive Informationen vorenthalten.

In dem Zusammenhang sind mir gestern die Zensurmobs bei Twitter aufgefallen, die Leuten, die echte Informationen teilten gleich im Dutzend auffordernden, eben diese doch „aus Rücksicht auf Jules“ sofort zu löschen.

Was sagen solche Aktionen über uns als Öffentlichkeit aus, wenn wir unangenehme Tatsachen im Liebsten einfach ausblenden würden, und diese Klientel die schwer verletzte Person nicht mal soweit respektiert, ihre eigene Heileweltsicht nicht unter Missbrauch ihres Namens durchsetzen zu wollen?

Nachvollziehen könnte ich allerdings, die Bilder / Video(s) „eingeklappt“ einzufügen, so dass der Leser selbst entscheiden kann, ob er sie sehen will.

DonDahlmann 7 Oktober, 2014 - 12:12

@ NoteMe:
Die Unfallbilder sind nur für wenige Menschen wirklich interessant: jene, die sich mit der Analyse auseinandersetzen. Für 99% der „Bild“ Leser und jene, die sich nie für Motorsport interessieren und gerade mal rum klicken, auf der Suche nach Bildern, sind die Bilder nicht von Belang. Sie interessieren sich nur für die Bilder, nicht für den Piloten oder die Frage, was passiert ist.

Du hast Recht, durch das Weglassen der Bilder geht es Bianchi nicht besser. Aber mir schon, denn ich will solche Bilder nicht auf der Seite haben. Bianchi geht es auch besser, wenn ich sie zeige.

ethone 7 Oktober, 2014 - 12:18

@ DonDahlmann:
Ich denke die Art der Berichterstattung macht den Unterschied. Das Beispiel Bild ist genau das, was ich auch nicht angucken mag und, wie du sagst, Publikum anzieht, das eigentlich kein Interesse an der Sache sondern nur am Spektakel hat.

Meine Idealvorstellung wäre eine sachliche Präsentation der Faktenlage mit den vorhandenen Primärquellen (Fotos, Videos) zur Klärung des journalistischen „Was“. Ohne sensationalisierende, wertende Zusätze („Horrorunfall“).
Das muss nicht von euch sein, ich kann eure Position wie gesagt nachvollziehen. Das ist auch eine persönliche Einstellungs- und Grundsatzfrage die man jedem Menschen zugestehen muss. Der gute Umgang mit dem sensiblen Material ist auch sicherlich nicht einfach und wäre mit viel Aufwand und Schweiß verbunden.

Den Teil des Publikums, der tatsächlich an der Sache und nicht der Sensation interessiert ist könnte man so vermutlich in den seriösen Medien halten und den sensationalisierenden Schlagzeilenmonstern wie Bild etwas Konsumenten „wegnehmen“.
Im Großen sehe ich das Problem eher dort, dass ich kein seriöses Medium kenne, das in einer sachlichen Art und Weise mit sensiblem Material umgeht. Für das Kollektiv unserer Motorsportszene wäre es denke ich gut, so einen Ort zu haben.

Fjord Springer 8 Oktober, 2014 - 09:09

Ich finde das vollkommen richtig, wie Ihr das macht. Das gebietet einfach der Respekt vor den Menschen, die mit den Folgen solcher Unfälle zu kämpfen haben.

Das ist seriöse Berichterstattung, der ich vertrauen kann.

Vielen Dank dafür.

Klaus 8 Oktober, 2014 - 09:15

Und ich dachte immer, genau diese Unfälle und Bilder davon wären das einzige, was bei diesem irrsinnigen „Sport“ interessant sei. Jedenfalls bei den Konsumenten; für die Beteiligten ist’s die Kohle. Man hat ja nix sonst gelernt, außer mit dem Auto zu rasen.

Peter 8 Oktober, 2014 - 10:20

Eine sehr gute Einstellung, das macht euch sympathisch

Peter 8 Oktober, 2014 - 10:22

@ Klaus:
Das stimmt! Unfälle sind bei F1 immer schön anzusehen, aber nur, wenn die Fahrer danach unverletzt aus dem Fahrzeug steigen und keine körperlichen Schäden erleiden… DAS ist der Unterschied

NoteMe 8 Oktober, 2014 - 11:15

@ DonDahlmann:Du kennst Deine Leserschaft sicher besser, und ich respektiere ausdrücklich Deine Entscheidung gegen die Veröffentlichung der Bilder auf Deiner Seite!

Ich habe das Racingblog und seine Leser bisher nicht unter Katastrophentouristen abgelegt, die in diesen traurigen Situationen eben nicht wie die Trolle Klaus & Peter reagieren, sondern zu allererst an die Betroffenen, ihre Familien und Freunde, und danach an die Ursachen und mögliche Konsequenzen für die uns allen am Herz liegenden Motorsportler denken.

So jedenfalls habe ich es live im Chat wahrgenommen, als Henry Surtees und Dan Wheldon ihr Leben verloren.

In meinen Augen sind die Bilder wichtig, weil man nur mit allen verfügbaren Daten den Unfall und seine Ursachen richtig einschätzen kann, und nach Möglichkeiten suchen kann, diese Situationen in Zukunft zu verhindern.

Nur durch das Amateurvideo wissen wir (die Öffentlichkeit), dass Jules auch ohne den Bergelader einen schweren Unfall gehabt hätte, und dass es eben nicht ausreichend (wohl aber hilfreich und geboten!) wäre, zukünftig alle Bergefahrzeuge mit weitgehenden Unterfahrschützen auszurüsten, die sie mit den Crashstrukturen der Formel 1 kompatibel machen.

Nur durch das Video hatte Gary Hartstein zum Beispiel gestern eine Basis für seine Einschätzung zur mangelnden Flaggendisziplin in der Formel 1. http://formerf1doc.wordpress.com/2014/10/07/2271/

Daher sehe ich die Veröffentlichung der verfügbaren Bilder und Daten als positiv. Nicht als Titel in einer großen Tageszeitung. Nicht als Aufmacher in privaten „Nachrichtensendungen.“ Als Daten, die uns als interessierte Öffentlichkeit verstehen lassen, was passiert ist. Als Maßstab, an dem sich die FIA in möglichen Konsequenzen wird messen lassen müssen. Und als Mahnung an alle aktiven Motorsportler, die mit ihrem Verhalten entscheiden, wie groß die Gefahr ist, der sie sich selbst und andere aussetzen, wenn sie ihrem Hobby frönen.

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