Formel Eins: Analyse Testfahrten 2015

Die Testfahrten der Formel Eins sind vorbei und sie haben einen kleinen Einblick in das gegeben, was die Fans dieses Jahr erwartet. Und so wie es im Moment aussieht, hat Mercedes einen deutlichen Vorteil.

Testfahrten bestehen meist aus Täuschen und Tarnen. Man weiß nie, mit welcher Spritmenge die Wagen unterwegs sind, und ob immer die volle Leistung des Motors und der Hybridsysteme abgerufen wird, ist auch unklar. Was man weiß, ist, dass die Testprogramme sich über die gesamten Tage nicht allzu sehr unterscheiden, vor allem wenn es um die Long- und Shortruns geht. Vor allem die Longruns geben einen guten Einblick, hier fehlen aber allen externen Beobachtern die Daten. Das gilt auch für den Reifenverschleiß. Zwar hat Pirelli die Reifen dieses Jahr nicht massiv verändert, aber die meisten Motorenhersteller haben mehr Leistung freigegeben, was die Reifen mehr belastet. Ein weiterer Faktor beim Reifenverschleiß ist der Abtrieb, der in diesem Jahr offenbar zugenommen hat.

Grundsätzlich kann man aber schon ein paar Dinge sehen. Mercedes hat einen klaren Vorteil, wie die Tabelle zeigt.

Das sieht auf den ersten Blick gegenüber den Williams und Ferrari nicht so dramatisch aus, aber dann sieht man, dass Rosberg seine schnellste Runde mit den „Soft“ gefahren ist, während alle, bis auf Red Bull und McLaren auf „Supersoft“ unterwegs waren. Letztere bringen in Spanien ungefähr 0,9 Sekunden pro Runde, und das dürfte ungefähr auch dem Vorsprung entsprechen, den Mercedes auf den Rest der Welt hat. Eventuell sind es auch ein paar Zehntel mehr, das dürfte von der Strecke abhängen. Mercedes hatte im letzten Jahr auf den Strecken, auf denen ein mittleres Aero-Setup gefragt ist, die meisten Vorteile. Auf Strecken mit niedrigen Abtriebsprofil sah man teilweise nicht so gut aus. Da der W06 eine Evolution des Vorjahrmodells ist, kann man davon ausgehen, dass Mercedes den Vorsprung gehalten haben müsste. Es gab ein paar Bilder aus Spanien, die sehr zerschlissene Hinterreifen am W06 zeigten, aber da gab es keine Infos, wie lange die auf dem Auto waren.

Wer hinter Mercedes liegt, ist im Moment schwer zu sagen. Williams machte einen sehr starken und sehr konstanten Eindruck. Man war fast an allen Testtagen in den Top 3, die Longruns sahen auch sehr gut aus. Schwächer als im letzten Jahr sind sie auf gar keinen Fall, aber ob ihnen einen Schritt nach vorne gelungen ist? Zu Beginn der Saison 2014 verlor man viele Punkte, weil man den Wagen noch nicht im Griff hatte und teilweise auf eine zu konservative Strategie setzte. Das sollte 2015 anders aussehen.

Ferrari hat definitiv einen Schritt nach vorne gemacht. Laut Kimi Räikkönen ist der SF15-T deutlich besser zu fahren und auch der Motor hat an Leistung zugelegt. Allerdings bin ich noch etwas skeptisch. In Sachen Aerodynamik geht die Scuderia (noch) einen leicht anderen Weg, was auch an der Konstruktion der vorderen Aufhängung liegen kann. Ich wäre aber mit allzu großer Euphorie vorsichtig. Das Chassis muss erst einmal zeigen, dass es auch auf allen Strecken funktioniert. Ich prophezeie mal eine „Jo-Jo“-Saison mit teilweise sehr guten, teilweise aber auch schlechten Wochenende.

Wo Red Bull steht, ist ein Rätsel. Man ist die gesamten Testfahrten nicht ein Mal aufgefallen. Die Fahrer beklagten eine schlechte Fahrbarkeit des Renault-Motors, lobten aber auch, dass der jetzt mehr Leistung hat. Wenn man in obiger Tabelle die 0,9 Sekunden für die „Supersoft“ der anderen Teams rausrechnet, wäre Red Bull mit 1.23.6min knapp 0,9 Sekunden hinter den Mercedes auf Platz zwei. Das klingt einerseits realistisch, andererseits muss man auch wieder rechnen, dass Williams bei Testfahrten meist sehr konservativ unterwegs ist. Es könnte aber ein sehr enges Paket aus Red Bull, Williams und Ferrari geben.

Lotus machte in der ersten Woche einen guten Eindruck, in Woche 2 schien die Realität aber eine andere zu sein. Der Topspeed stimmt, in Sachen Aerodynamik gibt es mit der kompletten Neukonstruktion des E23 aber noch Nachholbedarf. Ungefähr auf Augenhöhe müssten die Toro Rosso liegen. Die überraschten die Konkurrenz am letzten Wochenende mit einem mehr oder weniger neuen Auto. Kurze Nase, neuer Unterboden, neue Seitenkästen, neue Flügel. Der Wagen lief nicht schlecht und überraschte mit einigen schnellen Runden.

Das gilt auch für die Sauber, die oft vorne zu sehen waren, aber wenn man halt die 0,9 Sekunden in der Tabelle wieder rausrechnet, sieht man vermutlich die Wahrheit. Der Abstand zu Mercedes dürfte im Bereich von Sekunden liegen, allerdings ist Abstand zu Williams und Ferrari etwas geringer geworden. Dennoch wird es Sauber schwer fallen, in die Punkte zu kommen.

Schwer einzuschätzen sind die Force India. Der VJM08 kam erst am zweiten Tag der letzten Testfahrten aus der Garage, legte aber gute Zeiten hin. Zumindest scheint der Wagen aerodynamisch wieder auf der richtigen Seite zu stehen. Auffällig ist der „Duct“-Schacht in der Nase, der vor dem Cockpit wieder austritt. Was genau damit versucht wird, ist mir noch nicht ganz klar, aber Force India ist nicht das einzige Team, das damit experimentiert.

McLaren steckt weiter tief in der Krise. Besser gesagt: Honda. Dem Team gelang immerhin an einem Tag mit 109 Runden ein vernünftiger Testtag, an allen anderen Tagen erreichte man nicht mal eine Renndistanz. Immerhin konnte Jenson Button eine vernünftige Rundenzeit fahren. Wäre das jetzt am ersten Tag der Tests passiert, würde ich sagen, dass es nicht so schlecht aussieht. Aber so… Es ist mehr als fraglich, ob McLaren in den ersten Rennen überhaupt das Ziel sehen wird. Die ersten Aussagen des Teams gingen dann auch eher in die Richtung, dass man im Mai wirklich alle Probleme behoben haben wird.

Meine geschätzte Rangfolge für die ersten Rennen sieht dann also so aus:

1. Mercedes
2. Williams
3. Red Bull
4. Ferrari
5. Lotus
6. Force India
7 Toro Rosso
8. McLaren (wenn er fährt)
9. Sauber
10. Manor

Eine umfangreiche Saisonvorschau mit allen Regeländerungen und Einschätzungen der Fahrer gibt es nächste Woche!

Bilder: Daimler AG, Williams F1, RedBull Mediahouse, Ferrari F1, Lotus F1, Force India, Toro Rosso/Getty, McLaren F1, Sauber F1