Home Formel EinsF1 Hintergrund: Die Formel 1 und Bahrain

Hintergrund: Die Formel 1 und Bahrain

von Vorsicht
3 Kommentare

Lang herrschte Unklarheit, seit dem Wochenende ist es endgültig bestätigt: Der Grand Prix von Bahrain wird stattfinden. Wir beleuchten die Hintergründe zum umstrittenen Rennen.

Am Ende gab es doch wieder große Diskussionen. Dabei wirkte es lange Zeit so, als hätte sich die Formel 1-Welt längst geeinigt, nach der Absage 2011 in diesem Jahr wieder in Bahrain an den Start zu gehen. Am Osterwochenende mehrten sich dann aber doch noch Stimmen im F1-Zirkus, die dafür plädierten, das Rennen auch heuer nicht durchzuführen. Grund dafür war auch, dass nach einigen Monaten relativer Ruhe in den vergangenen Wochen wieder ein Aufflammen der Proteste zu vermerken war. Und dass diese Proteste sich teils ziemlich explizit gegen das Rennen aussprechen – nicht zuletzt wegen der engen Verflechtung zwischen F1 und herrschender Monarchie. „Die Sicherheitslage im Land“ sei in Ordnung, für die Formel 1 und ihre Angestellten bestehe in Bahrain kein besonderes Risiko, meinte FIA Präsident Jean Todt am Wochenende. Doch auch, wenn das Rennen selbst von den Protesten nicht in Mitleidenschaft gezogen wird, geht die „Königklasse“ dennoch beträchtliche Risiken ein.

Hintergrund

Meine Entschuldigung, wenn das racingblog nun kurz zum politikblog wird. Ich habe versucht, den Abschnitt über die Hintergründe der Proteste kurz zu halten. Leider ist die Lage aber ziemlich komliziert, so dass es doch ein paar Absätze geworden sind. Wer sich nur für die aktuelle Situation interessiert, kann ohne großen Verlust im nächsten Abschnitt weiterlesen. Das wäre dann hier.

Auch abseits der Rennstrecke ist die Situation auf der Wüsteninsel noch immer ziemlich kompliziert: Als Anfang 2011 in vielen arabischen Staaten (Tunesien, Ägypten, Jemen, Libyen, Syrien, etc.) Protestbewegungen gegen deren autoritäre Regierungen entstanden, gingen auch in Bahrain plötzlich Demonstranten auf die Straße – für einige Beobachter überraschend, schien Bahrain doch an der Oberfläche deutlich wohlhabender und stabiler als die anderen genannten Länder. Ein genauerer Blick zeigt allerdings, dass es in der jüngeren Geschichte des Inselstaates am Persischen Golf schon einige, meist erfolgreich unterdrückte Protestbewegungen gab.

Die Unzufriedenheit speist sich aus mehreren Quellen: Einerseits verfügt Bahrain, trotz relativem Wohlstands, nicht über ähnliche Reichtümer wie etwa die benachbarten Vereinigten Arabischen Emirate oder Katar. Die Öl- und Gasvorkommen sind verhältnismäßig gering. Und weil sie sich außerdem ihrem Ende zuneigen, versucht Bahrain in andere Bereiche zu investieren. Neben dem Bankensektor ist das der Tourismus, der auch durch den Grand Prix angekurbelt werden soll. Wichtig für die Proteste: Anders als in den reichen Nachbarländern gibt es in der einheimischen Bevölkerung eine breite Schicht, die schlecht bezahlter Arbeit nachgehen muss, oder sogar arbeitslos ist. Folge sind beträchtliche Einkommensunterschiede, die zu sozialen Spannungen beitragen.

Kernpunkt der aktuellen Proteste war aber vor allem die politische Lage im Land: Trotz demokratischer Reformen zu Beginn des Jahrtausends herrscht in Bahrain immer noch mehrheitlich die Königsfamilie Al Chalifa. Die Regierung wird vom König ernannt, der seit der Unabhängigkeit 1971 regierende Premierminister ist sein Onkel. Auch zahlreiche wichtige Ministerposten werden von Sprösslingen der Familie besetzt. Das Unterhaus (die wichtigste parlamentarische Kammer) wird ebenfalls zur Hälfte vom König ernannt – und zur anderen Hälfte gewählt. Die letzten Wahlen fanden 2010 statt, und wurden von Protesten der oppositionellen Wefak-Partei begleitet, die dennoch 17 von 20 der 20 zur Wahl stehenden Sitze im Unterhaus gewann. Die NGO Freedom House verlieh Bahrain sowohl im Bezug auf die Gesellschaft, als auch auf Presse und Internet die schlechteste Note: „Not Free“.

Zudem hat der Konflikt auch eine religiöse und eine geopolitische Komponente, die bei den aktuellen Protesten unter der Oberfläche mitschwimmt: Die Königsfamilie gehört der sunnitischen Richtung des Islam an, mehr als zwei Drittel der islamischen Bevölkerung (und die oben erwähnte islamistische Wefak-Partei) dagegen der schiitischen. Seit der Revolution im Iran 1979 verdächtigt die Regierung schiitische Bewegungen in Bahrain vom (schiitisch dominierten) Iran unterwandert zu sein. Dementgegen bezichtigt die Opposition die Regierungsfamilie die sunnitische Bevölkerung zu bevorzugen, und mit der (sunnitischen) Regierung Saudi-Arabiens im Bunde zu stehen, mit dem Bahrain seit 1986 über eine 25km lange Brücke verbunden ist.

Außerdem unterhält Bahrain gute Beziehungen zum Westen (was den Nachbarn im Iran gar nicht gefällt). Und zwar so gute, dass dort seit den frühen 90er-Jahren eine Militärbasis der USA untergebracht ist, die unter anderem das Hauptquartier der Fifth Fleet der US Navy und 1500 Militärangehörige beheimatet.

Schon in den 1980er-Jahren begann sich die Situation im Land anzuspannen, nachdem die Regierung behauptet hatte, einen Putschversuch durch eine iranisch unterwanderte Gruppe aufgedeckt zu haben. 1994 explodierte die angespannte Lage in gewalttätigen Ausschreitungen. Auslöser war ausgerechnet ein Sport-Event: Am Rande eines Frauen-Marathons warfen islamistische Demonstranten aus Ärger über die „unzüchtige“ Bekleidung der Teilnehmerinnen mit Steinen. Die Polizei nutzte die Gelegenheit zu ausführlichen Razzien bei mutmaßlichen Regierungsgegnern, die vor allem auf schiitisch geprägten Gebiete konzentrierten. Das wiederum motivierte eine (je nachdem, welchen Quellen man glaubt stark oder weniger stark) islamistisch geprägte Protestbewegung, die sich für mehr Freiheiten und demokratische Reformen einsetzte. Im Zuge dieser Proteste kam es auch zu gewalttätigen Angriffen auf staatliche Einrichtungen, auf die die Sicherheitskräfte mit ebenso gewalttätigem Vorgehen reagierten. Schließlich gelang es den Behörden, diese Bewegung soweit in den Untergrund zu drängen, dass sie nur noch durch gelegentliche Einzelaktionen auffiel.

Die Unruhen

Das ganze klingt ziemlich vertraut – denn trotz demokratischer Reformen und einer neuen Verfassung, die der frisch gekrönte König zu Beginn des Jahrtausends veranlasst hatte, erhob die Protestbewegung 2011 sehr ähnliche Forderungen. Und auch diesmal scheint die repressive Reaktion der Polizei die Situation wieder verschärft zu haben.

Am 14. Februar 2011 begannen (im Schatten des „Arabischen Frühlings“) zunächst friedliche Demonstrationen, die sich für mehr Freiheiten und die Gleichbehandlung der Bevölkerung aussprachen. Die Polizei reagierte darauf mit Tränengas und Gummigeschossen, ein Demonstrant kam ums Leben. Wenig überraschend trug dies nicht zur Beruhigung der Lage bei, so dass sie die Beerdigung des Getöteten am nächsten Tag wieder selbst zu einer Protestkundgebung entwickelte – die neuerlich mit einem Toten und 14 Verletzten endete.

Am gleichen Tag errichteten Demonstranten (nach dem Vorbild des Tahrir Platzes in Kairo) am Pearl Roundabout – einem zentral gelegenen Kreisverkehr im Finanzzentrum der Hauptstadt Manama – ein Protestcamp. Die zunehmend bedrängte Regierung versuchte weiter, die Demonstrationen zu stoppen, und forderte zu diesem Zweck 2000 Truppen aus dem benachbarten Saudi-Arabien an. Am Morgen des 17. Februar stürmte die Armee den Pearl Roundabout, und setzten dabei auch scharfe Munition ein. Resultat: Vier Tote und mehr als 600 Verletzte. Es folgten weitere Proteste, die nun auch die Absetzung der Königsfamilie forderten, Gegenproteste von Regierungtreuen Bahrainis und zunehmende Unterdrückung durch die Polizei. Und am 14. März – einen Tag nach dem Termin des geplanten Formel 1 Rennens – die Ausrufung des Ausnahmezustandes.

Ein im November veröffentlichter, unabhängiger Untersuchungsbericht attestierte der Polizei den Einsatz unverhältnismäßiger Gewalt, und spricht von Misshandlungen von Gefangenen, die von Drohungen der Vergewaltigung, Elektroschocks und Schlafentzug zu Schlägen mit Metall- und Holzstöcken reichen. Als Fazit könne man bei diesen Maßnahmen von „Folter“ sprechen. Besondere Aufmerksamkeit erlangte auch der Fall von 20 Ärzten und Sanitätern, die vor ein Militärgericht gestellt wurden, weil sie verletzte Demonstranten behandelt hatten (mittlerweile wurde der Fall an ein ziviles Gericht übergeben). Unter gestiegenem Druck westlicher Partner Bahrains nahmen Königshaus und Regierung die Erkenntnisse des Berichtes an, und kündigten Reformen des Sicherheitsapparates und einen Dialog mit der Opposition an. Dieser läuft seither, kommt allerdings nur sehr langsam voran. Proteste gegen die Regierung dauern derweil an, konzentrieren sich aber im Moment auf schiitisch geprägte Dörfer und Stadtteile (und sind daher auch weniger sichtbar).

Die Formel 1

Erste Erfahrungen mit der Situation in Bahrain machte der internationale Motorsport schon zu Beginn der Unruhen. Für das Wochenende vom 17. bis 19. Februar sollte die GP2 Asia auf dem International Circuit gastieren – in Vorbereitung auf den Lauf waren Teams und Fahrer schon im Land, als die Proteste sich hochschaukelten. Und offenbar wäre das Rennen auch trotzdem wie geplant über die Bühne gegangen – hätte die GP2 nicht, am Morgen des 17.2. (also dem Tag der Stürmung des Pearl Roundabout) bemerkt, dass das medizinische Personal von der Strecke in die Krankenhäuser verlegt worden war – „in case of an emergency“, wie es in der Pressemitteilung beschönigend heißt.

Das Formel 1-Rennen blieb vorerst im Kalender. Wohl auch deshalb, weil Bernie Ecclestone Probleme hatte, seinen Kontaktmann, den großen Förderer des Grand Prix und Kronprinzen Salman ibn Hamad ibn Isa Al Chalifa zu erreichen, da dieser gleichzeitig Verteidigungsminister seines Landes ist – und als solcher wohl mit der Räumung des Pearl Roundabout die Hände voll hatte. Oder wie Ecclestone sagte: „He is a bit busy, as you can imagine„.

Einige Tage später entschied man sich dann aber doch, das Rennen in den Herbst zu verschieben – und im Juni dann zur kompletten Absage. Ausschlaggebend sollen vor allem die Sponsoren der Teams gewesen sein, die weder die gedankliche Verbindung mit den Unruhen in Bahrain, noch die Möglichkeit aufsehenerregender Proteste während des Rennens als besonders verkaufsfördernd ansahen.

Auch an der Grand Prix-Strecke selbst sollten die Proteste nicht spurlos vorübergehen: Wegen „Beteiligung an den Unruhen“ wurde ein Viertel der Angestellten der Rennstrecke entlassen. Einige geben an, gefoltert worden zu sein, und im Juni waren noch mindestens fünf im Gefängnis. Anfang des Jahres verkündete die Rennstrecke auf Facebook, man habe allen Angestellten ihre alten Jobs wieder angeboten. Ob dieses Angebot auch angenommen wurde, ist indes nicht bekannt.

Während sich 2011 noch die meisten Sponsoren gegen eine Austragung ausgesprochen hatten, stehen 2012 nicht mehr alle F1-Finanziers dem Rennen in Bahrain negativ gegenüber. McLaren etwa befindet sich seit Jänner 2012 zu 50 Prozent im Besitz der Mumtalakat Holding – die wiederum dem Staat Bahrain gehört. „Some [drivers] will be outspoken, some won’t. Some can be, some can’t“, sagte Jenson Button dann auch, als er im Rahmen des GP von China auf das Rennen in Bahrain angesprochen wurde.

Die Lage vor dem Rennen 2012

Wie oben schon erwähnt stehen Grand Prix und Rennstrecke in engem Verhältnis zur Königsfamilie. Besonderer Förderer des Rennens in der Kronprinz, bis vor kurzen arbeitete ein weiterer royaler Spross als CEO. Auch die Demonstranten sind sich dieser Verbindung bewusst, und sehen die Austragung des Rennens daher als besondere Provokation.

Wenig überraschend ist auch der Präsident des Automobilclubs ein Mitglied der Familie. Abdullah Bin Hamad Bin Isa Al-Khalifa hat in der vergangenen Tagen mit der Aussage aufhorchen lassen, dass er zwar nicht mit Störungen rechne – was die Sicherheit möglicher Besucher an der Strecke betreffe, gab er ihnen aber dennoch mit auf den Weg: „There are no guarantees in this world.“

Ankündigungen zum Protest gibt es jedenfalls genug, einige davon sind durchaus martialisch. Und auch, wenn der überwiegende Großteil davon wohl friedlich verlaufen wird (wozu auch die Opposition noch einmal ausdrücklich aufgerufen hat) – es bleibt das Risiko, dass auch gewaltlose Aktionen einer einzigen Person in den Zuschauerrängen, an oder schlimmstenfalls auf der Strecke weitreichende Konsequenzen haben könnte. Man darf jedenfalls davon ausgehen, dass sich auch Regierungsgegner der weltweiten Bühne bewusst sind, die das Formel 1 Rennen liefert.

Dass die FIA sich bezüglich der „Sicherheit“ für die Formel 1 so zuversichtlich zeigt, liegt wohl auch an den zahlreichen Garantien, die sie von den Behörden in Bahrain bekommen hat. Darunter auch von John Yates, einem ehemaligen Assistant Commissioner der London Metropolitan Police, der im vergangenen Jahr wegen Ermittlungsfehlern rund um den Hacking-Skandal der Zeitung „News of the World“ Scotland Yard verlassen hatte, und nun die Regierung Bahrains in Sachen Menschenrechten und Polizeireform berät.

Doch auch wenn davon auszugehen ist, dass der Formel 1 selbst keine Gefahr droht – mit der Austragung des Rennens geht der Sport dennoch ein großes Risiko ein. Und nicht nur deshalb, weil die Veranstaltung entgegen die FIA-Statuten durchaus als Parteinahme in politische Fragen gewertet werden kann.

Denn im Unterschied zu Grand Prix in anderen autoritär regierten Staaten (wie etwa China oder Abu Dhabi) besteht in Bahrain die Möglichkeit, dass das Rennen durch den Einsatz von Polizeigewalt gegen Demonstrationen verteidigt werden muss. Das würde dem Image des Sports massiven Schaden zufügen – ganz abgesehen davon, dass dadurch auch die ohnehin sehr angespannte Ruhe in Bahrain wieder in Gefahr geraten könnte.

Der Grand Prix, der heuer unter dem Motto „unif1cation“ stattfindet, und als gemeinsamens Großprojekt die Bevölkerung Bahrains einen soll, hätte dann genau das Gegenteil dieses Vorhabens erreicht.

Das könnte Dir auch gefallen

3 Kommentare

hwk 19 April, 2012 - 12:45

meine Meinung dazu ist, dass sich die Formel 1 bzw. FIA aus Unruhegebieten raushalten sollte. Was passiert, wenn wirklich irgendwas passiert oder gestört wird, wenn auf einmal einer mit einem Plakat auf die Rennstrecke rennt?

Mortorsport ja, aber nicht um jeden Preis. Es gibt genug Ausweichrennstrecken auf der ganzen Welt.

Marcel 19 April, 2012 - 13:10

Also das ist immer eine Abwägungssache , welche wohl dieses mal das Budget entschieden hat…..

Ralf G. 19 April, 2012 - 18:49

Die Formel 1 ist bekannt dafür keine Moral zu haben, welche Sportart hat als eine der wenigen einst das internationale Sport-Embargo gegen das Apartheid-Regime gebrochen? Natürlich die Formel 1. Gut, was erwartet man wenn der Big-Boss-Bernie ein bekennender Hitler-Verehrer ist? Und der Rest hat ja keine eigene Meinung und macht was der Big-Boss sagt, aus Angst es könnten die Gelder versiegen.

Autorennen sind eine schöne Nebensache, um jeden Preis bei den Scheichs an deren Geldhahn man hängt ein Rennen durchzuziehen ist völlig daneben. Das Rennen ist eine Machtdemonstration des korrupten Regimes und die Formel 1 stellt sich an dessen Seite, ob gewollt oder ungewollt. Überflüssigstes Rennen des Jahres, sollte eigentlich niemand übertragen und niemand anschauen.

Comments are closed.