Ich war diese Woche in Peking auf der Motorshow und habe versucht, mich nicht wegschubsen zu lassen und einen Blick auf die Langversion der Mercedes E-Klasse zu werfen. Das war beides schwieriger als gedacht.
China ist ja so ein Ding für sich. Wer schon mal da war, kennt das Gefühl, dass man sich auf einem anderen Planeten befindet, sobald man das Flugzeug verlassen hat. Lesen kann man nichts, keiner spricht auch nur ansatzweise Englisch, aber dafür isst man Sachen, die man selbst nur grob nach dem Aussehen einschätzen kann. Ein kleines Abenteuer. Ich war auf Einladung von Mercedes vor Ort, das dort die Langversion der neuen E-Klasse vorgestellt hat.
Gebaut wird die um 14 Zentimeter gestreckte E-Klasse in China, das Design im Innenraum hat man im eigenen R&D Center in Peking angepasst. Zunächst stellt sich da die Frage, warum man überhaupt eine lange Version der eh schon nicht gerade klein geratenen E-Klasse herstellt. Nun, der Chinese mag es hinten gerne üppig. Während in Europa der Fonds allerhöchstens für die Omma oder die Kinder gedacht ist, und dementsprechend spartanisch ausgestattet wird, sitzt man in China gerne hinten und lässt sich fahren. Gleichzeitig ist so eine Langversion auch ein Statement. „Seht her, ich habe so viel Geld, ich kann mir sogar eine längere Version leisten, obwohl ich gar nicht hinten sitze und mit allen anderen im Stau stehe.“ Es hat ja noch niemand behauptet, dass hinter Statussymbolen irgendein Sinn stecken muss. Sonst würde in Europa ja auch keiner mit einem SUV samt Allrad-Antrieb und Kuhfänger durch die Innenstadt rollen.
Die 14 Zentimeter mehr machen die E-Klasse zu einer kleinen S-Klasse. Auch wenn der Wagen insgesamt fünf Zentimeter kleiner als die normale S-Klasse ist, der Radstand ist fast gleich. Damit ist auch der Innenraum nur wenig kleiner als jener der S-Klasse. Vorne findet man die aus der S-Klasse bekannten Displays, die sich über die sensationell praktischen Touchpads am Lenkrad bedienen lassen. Und Platz findet man auch als Beifahrer genügend. Hinten ist dann das Theater groß. Und bunt. Mit der optionalen LED-Beleuchtung, die 64 Farben darstellen kann, lässt sich der Nagellack der Gattin ziemlich gut treffen, Glitzerzeug jetzt mal ausgenommen.
Beinfreiheit gibt natürlich auch, selbst Dirk Nowitzki müsste es hinten recht angenehm finden. Man sitzt kommod auf (optional) beheizbaren Einzelsitzen und starrt aus (optional) abgedunkelten Fenstern in den chinesischen Smog. Damit einem nicht langweilig wird, gibt es Displays. Auch so eine Sache, die man in China gerne hat. Ein Auto ohne Display ist kein Auto. Ich erinnere mich, dass ich vor sechs Jahren mal in Shanghai zu einer weiter entfernten Veranstaltung fahren musste. Mein Fahrer hatte irgendeinen Lexus, der über ein (damals) riesenhaftes Display nebst DVD-Player verfügte, auf dem mir dann 150 Kilometer lang Celine Dion ihre größten Hits entgegen trällerte.
Mittlerweile sind zwei Displays in China hinten Standard, selbst in der unteren Mittelklasse. Was Mercedes auf die Idee gebracht hat, ein drittes Display einzubauen. Und zwar als Touchscreen in der hinteren Mittelkonsole. Damit man sich nicht, wie in Europa, mühevoll mit einer Fernbedienung rumschlagen muss. Eine tatsächlich sensationelle Idee, die bei den mitgereisten Kollegen und mir sofort den Satz „Warum gibt es das nicht in Europa?“ zur Folge hatte.
Womit man dann schon beim Kernproblem der gelungen Langversion der E-Klasse wäre: Es gibt sie nur in China. Mercedes sieht für die Langversion in Europa keinen Markt, weil man hier a) lieber selber fährt und b) die Omma hinten mit den Touchscreen vermutlich überfordert ist. Schade. Also für Europa.
Peking Motorshow
Die lange E-Klasse wurde im Rahmen der Peking Motorshow vorgestellt. Die findet im Wechsel mit dem Pendant in Shanghai alle zwei Jahre statt und ist vor allem eine Leistungsshow der einheimischen Hersteller. Von denen es mittlerweile eine ganze Menge gibt. Staunend lässt sich der europäische Beobachter von den Menschenmassen an riesigen Ständen chinesischer Hersteller vorbei schieben, die auf die Namen JAC, BAIC, Changan, Leopard, G.Patton usw. hören.
Dabei fällt vor allem auf, dass man in China mittlerweile durchaus gefällige Autos baut. Die Zeit der schamlosen Kopie europäischer Hersteller ist (fast) vorbei, man ist durchaus in der Lage, hübsche Wagen mit einem eigenständigen Design zu bauen. Dabei schwankt man zwischen den aktuellen Designs, die man aus Japan und Korea kennt, mit einem bisschen Europa und Rücksicht auf den eigenen Markt. Dabei entstehen dann teilweise hübsche und ansehnliche Fahrzeuge, die man sich auch gut in Europa vorstellen kann.
In Sachen Verarbeitungsqualität sieht es nicht immer ganz so gut aus. Man hat auf jeden Fall einen Sprung gemacht, allerdings muss man aufpassen, denn die Messefahrzeuge werden häufig per Hand nachgearbeitet, wie mir der Manager einer europäischen Marke verriet. Generell, so der Manager, sei man in China aber gut aufgestellt, denn der einheimische Käufer kann mittlerweile auch feststellen, ob ein Wagen qualitativ gut verarbeitet ist. Ein Problem ist aber weiter die Sicherheit, da ist man nach den Tests der EU- und US-Behörden noch ein gutes Stück von den Leistungen anderer Hersteller entfernt.
Auffallend war, dass fast alle chinesischen Hersteller auf der Messe mindestens ein Elektro-Fahrzeug hatten. Und zwar keine SUV, sondern einen Wagen der Mittelklasse. Die chinesische Regierung subventioniert E-Autos massiv und das nicht nur mit Kaufprämien. So bekommt man in Shanghai zum Beispiel sofort ein Kennzeichen für sein E-Auto, während man bei einem Benziner erst einmal durch eine Lotterie muss. Und dann ein Kennzeichen bekommt, mit dem man nur an bestimmten Tagen (Gerade/Ungerade) in die Stadt darf. Oder man zahlt mehr. Angesichts der unfassbaren schlechten Luft in den Großstädten die richtige Entscheidung.
Die Technik für die E-Autos kommt oft und gerne aus Deutschland, allerdings stellt man in China nach und nach auf eine einheimische Produktion um. Die Menge an kleinen und mittelgroßen E-Autos, die alle über eine Reichweite von 150 bis 250 Kilometern verfügen, war schon beeindruckend. Derartiges haben die europäischen Hersteller nicht zu bieten. Die setzen in China weiter auf SUVs, Langversionen und Luxus.
Ansonsten war die Messe vor allem eins: voll. Offiziell handelte es sich um den Pressetag, aber da dürfen Mitglieder des Militärs und ihre Familien auch rein. Bei 30 Grad Außentemperatur (ja, so was gibt es um die Jahreszeit) hatte man zudem vergessen die Klimaanlage in den Hallen anzustellen. Mit Hilfe der drölfzig Flak-Scheinwerfer, mit denen jeder Hersteller seinen Stand ausleuchtet, ergibt sich eine kuschelige Temperatur von sauerstofflosen 35 Grad und mehr in den Hallen. Fotos machen ist auch so eine Sache. In den Hallen gilt das Recht des Dreisten. Gerade hat man eine kleine Lücke fürs Foto entdeckt, zack steht einer genau vor der Linse. Gerne, nachdem er einem den Ellbogen in die Seite gesteckt hat. Da hilft es dann nur, die eigene Zurückhaltung abzulegen und zurück zu schubsen. Was auch als völlig normal akzeptiert wird.
Aber zurück zu den Autos und der Frage: Sind die Chinesen das, was die Japaner in den 80er und die Koreaner in den 2000er Jahren waren? Werden sie irgendwann den Markt mit brauchbaren und billigen Autos überrollen? Radio Eriwan würde antworten: „Es ist im Moment nicht wahrscheinlich, aber auch nicht unmöglich.“ Es ist relativ unwahrscheinlich, dass man in China unterhalb der Preise produzieren kann, die Dacia oder Fiat hinbekommen. Das kann man eher in Indien. Jedenfalls für Autos mit Benzin-Motor. In Sachen E-Auto könnte sich das aber ändern. Während die hiesige Industrie kaum Mittelklassewagen mit E-Motor und brauchbarer Reichweite im Angebot hat, sieht es in China dank der massiven staatlichen Förderung anders aus. Aber bis die die Chinesen soweit sind, dass sie in Europa ein vernünftiges Vertriebs- und Werkstattnetz aufgebaut haben, sollte die hiesige Industrie eine Antwort gefunden haben. Es wäre zumindest besser für sie.
Bilder: Daimler AG, Racingblog
Note: Ich war auf Einladung der Daimler AG in Peking.