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FIA WEC: Analyse Silverstone

von Flo aus N
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Die FIA WEC versprach vor dem Rennen einiges und sie behielt Recht. Der eigentliche Knaller folgte aber knapp drei Stunden nach der Siegerehrung.

2016-6-Heures-de-Silverstone-Adrenal-Media-ALP72118_hdObwohl das Wochenende mehr oder weniger ins Wasser fiel, blieb der gesamte Sonntag trocken. Ein Umstand über den fast alle froh waren, denn so konnte man zum ersten Mal abschätzen, wie die wahren Kräfteverhältnisse sein könnten. Am schwierigsten gestaltete sich das Ganze natürlich in der LMP1 bei den Werksboliden. Gleich vom Start weg konnten sich die beiden Audis absetzen, jedoch konnten dann im Laufe des Stints die beiden Porsche wieder aufschließen und es entwickelten sich zwei Zweierpakete im Kampf um die Positionen: Audi #7 gegen Porsche #1 und der #2 Porsche gegen den Audi mit der #8. Im Vergleich zum Vorjahr waren dabei mehrere Dinge auffällig: Zum einen hatte der Audi teilweise noch mit einem höheren Reifenverschleiß zu kämpfen. Dies hat sich im Laufe des Stints bemerkbar gemacht, als man anfangs immer etwas wegfahren konnte, dann aber die Porsche aufholen und die Audis teils sogar überholen konnten.


Die größten Zugewinne hat man aber beim Hybridsystem gemacht. 2015 war Porsche in der Lage, aus jeder Ecke deutlich besser zu beschleunigen, da man mehr Leistung zum Boosten verwenden konnte. So hatte man hier einen Überschuss von locker 150 bis 250 kW auf Seiten des E-Motors. Dieser Vorteil ist nun passe und gefühlt konnte der Audi dem Porsche auf den ersten Metern sogar immer etwas wegziehen. Hier hat man nun also mindestens die selbe Leistung zum Boosten zur Verfügung wie die Mannschaft aus Weissach. Ein dritter Punkt fiel auch relativ früh auf: Im Vergleich zum letzten Jahr waren die Autos, gerade der Porsche, mit deutlich mehr Abtrieb unterwegs. Dies führte zwar dazu, dass vor allem der Porsche eine tolle Reifennutzung hatte, im Verbund mit den ca. 8% weniger Leistung hatte dies aber noch eine andere Folge: Der Topspeed am Ende der Geraden war im Schnitt ca. 15 kmh geringer als noch im letzten Jahr, wodurch man sich vor allem die Porsche im Verkehr deutlich schwerer taten als noch vor zwölf Monaten, da gleichzeitig die LMP2 und auch die GTE-Pro um ein paar kmh zugelegt haben. Diesem Umstand geschuldet mussten die beiden deutschen Mannschaften wieder mehr auf der Bremse und in den Kurven überrunden. Etwas, das zwar möglich ist, aber mit deutlich höherem Risiko im Vergleich zum Überholen auf den Geraden verbunden ist, und genau jenes Risiko bekam Brendon Hartley zu spüren. Das bis dahin schnellste Auto im Feld wollte ausgangs Turn 2 außen herum den Porsche 911 von Gulf Racing überholen, dabei berührten sich beide Fahrzeuge und der Porsche von Brendon Hartley überschlug sich fast und blieb dann im Kiesbett stehen. Bei diesem Unfall wurde das Auto stark beschädigt, wodurch eine Weiterfahrt nicht mehr möglich war und die bis dahin schnellste Besatzung das Rennen aufgeben musste.

2016-6-Heures-de-Silverstone-Adrenal-Media-GT7D2868_hdEbenfalls aufgeben musste der #8 Audi, wenn auch nicht aufgrund eines Unfalls, sondern in Folge eines technischen Defekts. Dass Audi über den Winter Probleme mit dem Batteriepaket hatte, ist nichts neues. Gründe dafür sind zum einen die sehr hohe Leistung, welche das Paket aufnehmen und bereitstellen muss. Zum anderen aber auch die sehr knapp bemessenen Platzverhältnisse für die Kühlung der Batterie, des KERS und der Leistungselektronik. Gerade dieser Punkt ist ein oft unterschätzter Faktor, mit dem auch Porsche anfangs massiv zu kämpfen hatte. So hatte man 2014 mit abfallender Leistung aufgrund der großen Wärmeentwicklung zu kämpfen und für 2015 war man sich bis nach Spa auch nicht sicher, ob das neu entwickelte, leichtere, kleinere, aber auch schwerer zu kühlende Batteriepaket halten würde. Man hatte daher eine Backup-Lösung in Form eines gleichzeitig weiterentwickelten alten Batteriepakets in der Hinterhand, welches man aber nicht einsetzen musste.

Laut Audi hatte man die Probleme mit dem Batteriepaket ausgeräumt, doch kurz vorher beim Test in Monza stand man sehr lange in der Box, als man wohl auch hier Probleme hatte, und in Silverstone kam es zu einer starken Rauchentwicklung im Fahrzeug, als hier entweder die Leistungselektronik oder das Batteriepaket den Belastungen nicht standhielt.

Nachdem sich ein Audi und ein Porsche aus dem Kampf um die Top 3 verabschiedet hatten, tat es ihnen die #5, der schnellere der beiden Toyotas, gleich, wobei hier der Fehler weder beim Fahrer noch bei der internen Technik lag. Ein massiver Reifenplatzer sorgte dafür, dass sich nicht nur der Reifen in Luft auflöste, sondern auch viele Teile der hinteren Verkleidung sowie der Aufhängung. Infolgedessen musste das Auto in die Box gebracht werden und stand dort knapp 42 Minuten, da man auch die Aufhängung und die Antriebswelle tauschen musste – so massiv war der Schaden.

2016-6-Heures-de-Silverstone-Adrenal-Media-ALP50001_hdDie #6 mit Kobayashi/Conway und Sarrazin konnte nicht ganz das Tempo des Schwesterautos mitgehen. Da der Toyota allgemein mit weniger Abtrieb unterwegs war, konnte man auch nicht das Tempo des Spitze mitgehen, wodurch man am Ende mit einer Runde Rückstand Zweiter wurde. Die wahren Kräfteverhältnisse wird man aber eher in Spa sehen als hier. Der aufmerksame Leser wird sich nun denken: Zweiter? War war dann vorne? Die #7 fuhr anfangs vorne weg, bis der Porsche um Brendon Hartley und der zweite Porsche rund um Romain Dumas aufschließen konnte. Nachdem die #1 ausgeschieden war, kam es zu einem engen Zweikampf, der bis kurz vor Ende offen war. Circa 45 Minuten vor Ende kam der Porsche zum geplanten letzten Splash and Dash an die Box, den man ebenso wie der bis dato knapp führende Audi fest eingeplant hatte. Es schien, als würde es auf einen schönen engen Zweikampf am Ende hinauslaufen. Dieser trat aber nicht ein, denn kurz nach dem Stopp musste der Porsche nochmals in die Box, da man sich einen schleichenden Plattfuß eingefangen hatte. Dieser extra Stopp machte die Bahn für den Audi frei, der somit das Ziel als Erster erreichen konnte. Gewonnen hat er aber trotzdem nicht, denn ca. drei Stunden später folgte DER Hammer:

Die Skidblocks, die am Unterboden angebracht sind, werden zum einen vor und nach dem Rennen kontrolliert und müssen eine Dicke, gemessen zur Referenzebene, von mindestens 20 mm besitzen. Beim Audi wurde nach dem Rennen planmäßig nachkontrolliert und die Skidblocks hatten unter 20 mm, sprich im Rennen schlieffen diese zu oft am Boden. Die Folge war klar: Wertungsausschluss des Audi, der Porsche mit der #2 rückt nach vorne. Platz 2 geht somit an den Toyota und Platz 3 an den Rebellion, welcher von den Ausfällen der Werksautos am meisten profitierte.

2016-6-Heures-de-Silverstone-Adrenal-Media-ALP72155_hdIn der LMP2 entwickelte sich das ganze etwas anders, als von mir vermutet: Über das gesamte Rennen hinweg war überaschenderweise der Ligier von Sard Morand das schnellste Auto. Dass dem Ligier aufgrund des höheren Abtriebslevels die Strecke in Silverstone besser liegt als dem Oreca, wurde teils schon im Training deutlich; dass die Ligiers aber so deutlich besser sind, damit hatte ich bei Leibe nicht gerechnet, denn auch der Oreca produziert nicht wenig Abtrieb. Der zweite Grund, warum der Morand vorne lag, war, dass man mit Bruno Senna, Ricardo Gonzalez und Felipe Albuquerque eine extrem schnelle und vor allem ausgeglichene Besatzung hat. Nach diesem Rennen muss man sogar soweit gehen und sagen: Nebem dem G-Drive Oreca hat man die ausgewogenste Besatzung im Feld, wodurch man am Ende gut 30 Sekunden vor dem Zweiten, dem ESM Ligier lag. Lieferten dort Ryan Dalziel und Chris Cumming eine sehr beachtliche Leistung ab, könnte wohl 2015 das Jahr sein, in dem ein neuer Stern am Sportwagenhimmel aufgeht. Die Rede ist von Luis Felipe Derani. Nach Daytona und Sebring lieferte er hier die nächste LMP2-Show ab. Er drehte permanent die schnellsten Runden aller LMP2 Fahrer, zögerte beim Überholen keine Sekunde und brannte mit einer 1:48.909 eine Runde in den Asphalt, die über 0,6 sek schneller war als die des zweitschnellsten Autos. Wenn dieser Derani so weitermacht, werden wir ihn 2017 sicher nicht mehr in einem LMP2, sondern in einem Werks-P1 sehen! Er war auch der Hauptgrund, warum das Auto neun Sekunden vor dem G-Drive OReca ins Ziel rollte, denn mit Rast, Rusinov und Berthon waren zwar alle drei Fahrer schneller als die anderen Fahrer im ESM-Ligier, aber diese hatten eben noch Derani als Ass im Ärmel.

2016-6-Heures-de-Silverstone-Adrenal-Media-ALP72147_hdDieses Ass im Ärmel brauchte man bei Ferrari in der GTE-Pro gleich gar nicht zu zücken, denn man feierte einen ungefährdeten Doppelsieg. Es konnte sich Sam Bird mit seinem Teamkollegen vor dem Schwesterauto rund um Gimmi Bruni durchsetzen. Frappierend dabei war nicht mal der Vorsprung vor dem Drittplatzierten, dem Aston Martin, sondern die Art und Weise, wie man den Sieg herausfuhr. Gimmi Bruni verlor anfangs fast zwei Runden auf die Konkurrenten, was aber die #51 nicht in Bedrängnis brachte. Mit einer 1:58.5 fuhr man satte zwei Sekunden schneller als der schnellste Nicht-Ferrari und es war nicht nur die schnellste Runde, die extrem beeindruckend war, sondern auch die Konstanz. Dass die Strecke dem Ferrari liegen würde und auch die Regeländerungen nicht so schlecht für den 488 GTB sein dürften, davon musste man ausgehen. Dass am Ende aber eine solche Dominanz vorliegt, damit hat keiner gerechnet. Zudem benötigte das Siegerauto von Sam Bird und Davide Rigon nur fünf Stopps, während alle anderen mindestens einen Stopp mehr benötigten. Ich will hier ja nicht unken, aber es wäre alles andere als überraschend, wenn hier bereits vor dem Rennen in Spa massiv die BoP-Keule zuschlagen würde. Gefühlt haben die Ferrari nämlich noch nicht mal alles gezeigt und damit dürfte man für Spa schon mal der haushohe Favorit sein, denn auch diese Strecke dürfte dem Auto sehr gut liegen. Der 488 ist definitiv ein würdiger Nachfolger des extrem erfolgreichen F458.

2016-6-Heures-de-Silverstone-Adrenal-Media-GT7D3043_hdAuf Platz 3 lief der Aston Martin mit Thiim Sorensen und Turner ein, welcher aber kaum eine Chance gegen die Ferrari hatte. Zum einen profitierte man davon, dass die Ford GT sichtbar noch nicht ausgereift waren, zum anderen aber auch davon, dass der Porsche rund um Richard Lietz einen Bruch an der Aufhängung hatte, die das Team gut zwölf Runden an der Box kostete und ihm somit jede Chance nahm. Über die Stints gesehen war der Porsche leicht schneller als der Aston Martin, welcher noch teilweise mit dem Reifenverschleiß seiner Dunlops zu kämpfen hatte. Auf Rang 4 und 5 liefen dann die Ford GT ins Ziel, welche zwar in Sachen absoluter Rundenzeit hinter den Ferraris rangieren, aber auch im Laufe eines Stints noch nicht die Konstanz der anderen Fabrikate haben. Grundsätzlich hat das Auto aber ein enormes Potential und ich bin echt gespannt, wie schnell sie sich steigern können, um sich mit Aston Martin und Porsche heiße Duelle liefern zu können. Die Ferraris sehe ich seit Silverstone in einer anderen Liga.

2016-6-Heures-de-Silverstone-Adrenal-Media-ALP51910_hdÄhnlich eindeutig ging es in der GTE-Am zu. Hier gewann der hoch eingeschätzte Ferrari mit Perrodo, Collard und Aguas vor dem eigentlich noch besser eingeschätzten Aston Martin mit Lauda/Lamy und Dalla Lana. Dass man auch hier eine ganze Runde Vorsprung hat, ist schon sehr beachtlich, denn eigentlich hätte ich beide Autos auf Augenhöhe eingeschätzt. Interessanterweise waren dies aber nicht die schnellsten Fahrzeuge. Dies waren nämlich die beiden von Proton eingesetzten Porsches mit den Nummern #78 und #88. Mit Rundenzeiten bis zu 2:01.6 war man fast eine 3/4 Sekunde schneller als der Ferrari und der Aston Martin. Auch die Corvette hätte vom reinem Speed her keine Chance gehabt. Grund dafür ist die Tatsache, dass die 2015er Porsche 15 kg ausladen durften. Diese 15 kg mögen zwar nach nicht so viel ausschauen, aber gerade beim Porsche mit seiner sehr hecklastigen Gewichtsverteilung haben schon des Öfteren 15 oder 25 kg hin oder her den enormen Unterschied zwischen schnellstem Auto und „keine Chance auf ein Podest“ ausgemacht. Auch profitieren die Hinterreifen am Porsche extrem von dem leicht verringerten Gewicht. Dass man aber am Ende nicht vorne lag, lag an technischen Defekten, durch die man gute Siegchancen verspielte. Dies kann umso ärgerlicher sein, sollte der ACO sich genötigt fühlen, vor Spa die BoP anzupassen – eine Strecke auf der Gewichtsveränderungen beim Porsche große Auswirkungen haben.

2016-6-Heures-de-Silverstone-Adrenal-Media-ALP50106_hdGrundsätzlich war es ein sehr tolles Rennen mit vielen Zweikämpfen in allen Klassen, wobei gerade der Kampf in der LMP1 sehr eng war und vor allem durch die Ausfälle und die Disqualifikation entschieden wurde. In der LMP2 ging es auch sehr eng zu und als Derani den Rückstand aufholen musste, war Spannung garantiert, während Ferrari in der GTE-Pro eine wahre Machtdemonstration ablieferte. In der GTE-Am waren auch nicht die schnellsten Fahrzeuge vorne, denn die Porsches haben sich dort selbst um die Lorbeeren gebracht. Ob und wie sich hier was ändern wird, wird man in knapp 2,5 Wochen sehen, denn dann stehen die 6 Stunden von Spa an und in der LMP1 werden die Teams dann wohl auch mit den lang erwarteten Aerovarianten für Le Mans antreten.

Bilder: ACO/FIA

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3 Kommentare

DonDahlmann 19 April, 2016 - 23:38

Ja, die geringen Unterscheide zwischen LMP2 und LMP1 sind mir auch aufgefallen. Der Unfall von Hartley erinnerte mich an jenen von Davidson mit dem GT-Am Ferrari vor ein paar Jahren in Le Mans. Mir kamen so erste Bedenken für Le Mans dieses Jahr. Wenn es so eng zu geht, wie in Silverstone, werden die LMP1 mehr Risiko eingehen. Schon im letzten Jahr taten sich die LMP1 manchmal schwer auf der Geraden zwischen Mulsanne und Indianapolis. Gefällt mir gar nicht.

Flo aus N 20 April, 2016 - 17:10

@ DonDahlmann:

Letztes Jahr gings ja eigentlich so gut wie lange nicht mehr. Da hatte man in Le Mans immer 340 und mehr Sachen auf der Uhr stehen. Aber dass in Silverstone… Der Porsche hatte ja nen 50-70mm hohen Gurney drauf, den hatte er 2015 in Silverstone noch gar nicht drauf. Bringt zwar mehr Abtrieb für die Kurven aber auf den Geraden ist das mit den 8% weniger Leistung nicht förderlich.

Es scheint sich also das zu bewahrheiten, was ich schon länger sage: Die Reduzierung der Motorleistung verringert den Topspeed und erhöht dadurch das Risiko für Unfälle weil die LMP1er wieder aggresiver in den Kurven überrunden müssen. Ob man in Le Mans nun 330 oder 340 kmh fährt, macht bei nem Unfall kaum mehr nen Unterschied, aber die Gefahr für Unfälle steigt deutlich an. Insofern muss man leider im Moment schwer davon ausgehen dass der Schuss für den ACO nach hinten losgeht.

littleskill 21 April, 2016 - 10:44

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