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Formula E: Vorschau Long Beach ePrix & Gedanken zum Stand der Serie

von StefanTegethoff
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wof_2Da die Formula E in ihrem zweiten Jahr nicht in Monaco fährt, ist der Long Beach ePrix im berühmten Hafen-Vorort der noch berühmteren US-Westküsten-Metropole Los Angeles so etwas wie der „Glamour-Höhepunkt“ der Saison. Passend dazu gibt es zurzeit von der Rennserie mehr darüber zu berichten, was sich neben der Strecke abspielt, als was den Sport selbst betrifft. Die Entwicklungen sind interessant, aber regen – pünktlich zur Saisonmitte – auch zum Nachdenken an.

Zunächst möchte ich ein paar Gedanken zum Thema „FanBoost“ äußern. Daniel Abt hat mit einem Tweet bei mir Denkprozesse in verschiedene Richtungen angestoßen: Er bot am vergangenen Dienstag an, sich beim nächsten Rennen in der Startaufstellung zu entblößen und nackt Songs von Taylor Swift anzustimmen. Anlass ist, dass Abt in den vergangenen anderthalb Saisons noch kein einziges Mal den FanBoost „gewonnen“ hat, also beim Online-Voting nie unter den drei Fahrern mit den meisten Fan-Stimmen war.

Ich denke nicht, dass man Daniel Abt vorwerfen kann, unsympathisch oder wenig fanfreundlich zu sein, mein Eindruck ist eher das Gegenteil. Aber das reicht eben nicht, um einen „FanBoost“ abzustauben, hierfür braucht es eine breite Fanbasis und möglichst noch etwas Publicity. Oft tut auch die Nationalität in Verbindung mit der generellen Motorsport-Begeisterung eines Landes etwas zur Sache: Zu den häufigsten FanBoost-Gewinnern gehören südamerikanische Fahrer wie Nelson Piquet Junior (sechsmal in Folge in der Vorsaison, als er den Titel gewann), Lucas di Grassi (jüngst zweimal in Folge bei den Süd- und Mittelamerika-Rennen) sowie Salvador Duran bei seinem Heimrennen in Mexico City.

Aus dem europäischen Raum scheinen der Brite Sam Bird und der Franzose Jean-Eric Vergne die breitesten Fan-Basen zu haben: Beide holten in dieser Saison bereits drei FanBoosts, Vergne war im Vorjahr mit fünf davon auch schon ganz vorn dabei. Wie di Grassi und Piquet sind sie gute Piloten, die auch ein gewisses Charisma und eine Fan- und Medien-Affinität ausstrahlen – doch damit sind nicht die einzigen im Feld, wie das Beispiel Daniel Abt zeigt. Auch Simona di Silvestro als Sympathieträgerin und einzige Frau im Feld wurde in dieser Saison noch nicht ein einziges Mal erwählt.

_L5R9260Es ist eine wirklich spannende Frage, was die Motivation hinter der Voting-Entscheidung der Fans ist. Die Nationalität scheint ein Punkt zu sein, die Unterstützung guter und erfolgreicher Piloten ein anderer, manchmal aber auch das Gegenteil: der FanBoost als „Trostpreis“ und Wiedergutmachung nach einem unverschuldeten schlechten Ergebnis zum Beispiel. Nick Heidfeld gewann im Vorjahr drei FanBoosts in Folge, nachdem er im Kampf um den Sieg beim ersten Lauf von Nicolas Prost in einen Überschlag geschickt wurde, und Lucas di Grassi wurde von den Fans gepusht, nachdem ihm beim Berlin ePrix aufgrund eines irregulären Frontflügels der Sieg aberkannt worden war. Der Kausalzusammenhang ist nicht zwingend, aber scheint plausibel.

Mit dem oben zitierten Tweet versucht nun Daniel Abt – ob er es nun ernst meint oder nicht – die Aufmerksamkeit auf sich zu ziehen und Votes zu generieren. Die spannendste Frage im Vorfeld des Long Beach ePrix‘ ist für mich darum, ob die internationale Vorberichterstattung sein „Angebot“ aufgreift (da ich nicht davon ausgehe, dass der Tweet allein genug Aufmerksamkeit generiert) und ob dies das Voting dann noch beeinflusst – denn in diesem Jahr kann bis sechs Minuten nach dem Rennstart abgestimmt werden. Sollte dies so passieren, stellen sich zwei spannende Fragen: 1. Zieht Daniel Abt beim nächsten Rennen in Paris wirklich blank und versucht sich an Swift-Karaoke? 2. Werden andere Fahrer mit ähnlichen oder gar noch absurderen „Angeboten“ die Fans zu locken versuchen? Letzteres könnte eine Spirale in Gang setzen, die die Organisatoren versuchen müssten, in den Griff zu bekommen.

_L5R0001Dass der FanBoost sportlich etwas ausmachen kann, haben wir in Mexico City beobachten können, als Lucas di Grassi ein entscheidendes Überholmanöver mit Hilfe des zusätzlichen Energieschubs forcieren konnte (auch wenn dies im Nachhinein obsolet war). Dies war jedoch bislang nicht der Regelfall – meist hatte der FanBoost wenig sportliche Auswirkungen, ermöglichte höchstens mal einen Platztausch im Mittelfeld. Doch neben dem sportlichen Hilfsmittel ist es eben auch der Wettbewerb um Fans und Sponsoren, der diesem innovativen Element für die Fahrer Bedeutung verleiht.

Ich bin kein Freund des FanBoosts, und das werde ich voraussichtlich auch nicht mehr; meine Auffassung des Begriffs Motorsport ist eine andere. Ich kann die Idee im Sinne des Akquirieren und Bindens junger Nachwuchs-Fans aber nachvollziehen. Es ist eben genau das andere Extrem im Vergleich zur Social Media-Abstinenz der Formel 1, deren Fanbasis altert und bei unverändertem Fortgang in nicht allzu ferner Zeit schrumpfen wird.

Zwei Reformen des FanBoosts würde ich mir aber für die nächste Saison wünschen:

  1. Die Entscheidung sollte vor dem Rennen fallen. Ein Eingriff in das laufende Rennen scheint mir noch unsportlicher, als ich den FanBoost ohnehin schon finde.
  2. Die drei FanBoost-Sieger eines Laufs sollten beim nächsten Lauf im Voting gesperrt sein. Dies würde für etwas mehr Balance sowohl auf der Strecke als auch im Wettbewerb um die Fangunst sorgen und statt Dauer-Gewinnern vielleicht auch mal anderen Piloten den gewünschten Boost bescheren.

S17_ESL731Zwei andere Ankündigungen der Formula E-Organisatoren laden ebenfalls zum Nachdenken ein. Zum einen wurde angekündigt, dass es im Rahmen der Events in Long Beach, Paris, Berlin und London virtuelle Rennen in Form der sogenannten „Race Off Pro Series“ geben wird. Damit springt die jugend-orientierte Rennserie auf den längst in voller Fahrt befindlichen eSports-Zug auf (die Verbindung drängt sich zufälligerweise, auch was den Namen bzw. die Schreibweise angeht, geradezu auf). Gefahren wird in der Simulation „Forza Motorsport 6“, als Organisationspartner hat man die in der Szene bekannte „Electronic Sports League“ (kurz ESL) gewonnen und für die Bestplatzierten wird beim Finale in London ein Preisgeldtopf von 15.000 € ausgeschüttet.

Robocar of RoboraceDie zweite Ankündigung betrifft das „Roborace“-Auto, das in der Pressemitteilung als „Car of the Future“ angekündigt wird. Dieses fahrerlose Elektro-Fahrzeug wurde vom deutschen Automobil-Designer Daniel Simon entworfen. Dieser entwickelte schon für Hollywood-SciFi-Filme wie „Tron: Legacy“ und „Oblivion“ futuristische Fahrzeug-Designs, zeichnete aber auch für Concept Cars des VW-Konzerns sowie für die Lackierung des 2011 HRT-F1-Bioliden verantwortlich. Da in dem Auto kein Fahrer untergebracht und geschützt werden muss, konnte Simon die Linien vor allem nach ästhetischen Gesichtspunkten zeichnen und das Resultat ist tatsächlich sehr gelungen.

Auf der eigenen Webseite präsentiert sich „Roborace“ als „global championship of intelligence and technology“ , in der sich „driverless teams […] in a battle of algorithms“ gegenüberstehen; man will „technology gaming and motorsport“ in einem „groundbraking format in major cities around the world“ zusammenbringen. Für die Formula E-Saison 2016/17 werden Show-Einlagen (“disruptive and innovative new formats showcasing safety and extreme driving capabilities”) im Rahmen der Rennen angestrebt. Wie dies genau aussehen wird, ist noch unklar.

_L5R9197Betrachtet man beide Ankündigungen zusammen, könnte sich ein Blick auf die langfristige Zukunft des Motorsports auftun: fahrerlose Autos, ferngesteuert von Gamern, die in einer Halle neben der Rennstrecke in Cockpit-Simulatoren eingespannt sind, die ein Feedback vom Auto auf der Strecke wiedergeben – zumindest den Befürwortern größtmöglicher Sicherheit, und vielleicht auch der eSports-affinen Generation, könnte diese Vorstellung gefallen. Für eher traditionell angehauchte Motorsport-Enthusiasten wäre dies bestenfalls ein schlechter Aprilscherz.

Einen weniger dramatischen Aprilscherz gönnte sich gestern Lucas di Grassi: Er kündigte via Twitter an, bald mit seinem eigenen Team – Di Grassi Motorsports – in der Formula E antreten zu wollen. Die Idee ist nicht so unrealistisch, insofern ist der Gag sogar gelungen; doch ist di Grassi noch an einem etwas zu frühen Zeitpunkt in seiner Karriere, um bereits zum Owner-Driver umzuschulen. Wenn man dem Brasilianer eine gewisse Frechheit unterstellen möchte, könnte man die Ankündigung auch als dezenten Seitenhieb gegen sein Team Abt Schaeffler Audi Sport interpretieren, die ihn beim letzten Lauf in Mexico City bereits zum zweiten Mal durch technische Unregelmäßigkeiten einen Sieg gekostet haben.

Und damit ist die Überleitung zum sportlichen Teil dieser Vorschau geschafft. Doch – wie eingangs gesagt – es gibt wenig Neues zu berichten. In der Meisterschaft liegt nach di Grassis Disqualifikation in Mexico City der bisher dominante Sebastien Buemi sehr deutlich vorn: 22 Punkte beträgt sein Vorsprung. Weitere 16 ist Sam Bird zurück, der im schwächeren Auto allerdings nur bei glücklichen Umständen eine Chance auf Top-Platzierungen hat. Di Grassi muss sich in Long Beach bemühen, den Rückstand zu verkleinern, denn es ist bereits das sechste von elf Rennen.

_79P2765Spannend ist außerdem die Frage, ob das Dragon-Team etwas mehr Konstanz in seine Resultate bekommt bzw. den Aufschwung aus Mexico City fortsetzen kann. Jerome d’Amborio erbte dort den Sieg nach dem Start von Pole und einem guten Rennen (auch wenn er sich – wir erinnern uns – recht hart gegen Sebastien Bumei verteidigen musste, der sich bitterlich beschwerte), während Loic Duval seinen dritten vierten Rang in der Saison einfuhr.

Im Vorjahr holte der eingangs thematisierte Daniel Abt die Pole in Long Beach, konnte dies jedoch im Rennen leider nicht in ein gutes Ergebnis umsetzen. Es gewann stattdessen ein an jenem Tag extrem starker Nelson Piquet jr., der damit seinen „championship run“ einläutete. Eine Pole oder ein gutes Ergebnis wären sowohl für Abt als auch für Piquet in seinem untermotorisierten NEXTEV-TCR-Boliden hilfreich – für Abt ist dies jedoch wahrscheinlicher, ob mit oder ohne FanBoost.

Gefahren wird auf einer modifizierten Version des aktuellen IndyCar-Kurses entlang der Waterfront von Long Beach. Die Springbrunnen-Passage um das Meeres-Aquarium wird dabei ausgespart; damit verkürzt sich die Strecke auf gut 2,1 km. In der Kurve des berühmten Shoreline Drive wechseln die Piloten in einer holprigen Rechts-Links-Schikane auf die Gegenfahrbahn, bevor sie 300 Meter später rechts abbiegen und von dort an wieder den IndyCar-Kurs nutzen (der selbst auch nur eine von vielen über die Jahre genutzten Varianten darstellt).

long_beach_carouselDer Kurs hat nur acht Kurven, die beiden besten Überholmöglichkeiten stellen sich schwierig dar, da die bereits beschrieben Schikane zu der Sorte gehört, bei der man heftig über die Kerbs rumpelt und am Ausgang knapp an der gefühlt mitten auf der Strecke stehenden Mauer der Boxenausfahrt vorbeischrammt, während die Rechtskurve nach der Gegengeraden (Turn 5) aufgrund eines nicht ganz so engen Radius doch recht zügig durchfahren wird; die nahen Reifenstapel locken hier des Öfteren Fahrer in die Falle, im Vorjahr beispielsweise Nick Heidfeld, als er sich gegen einen Überholversuch von Jerome d‘Ambosio verteidigte.

So war das Vorjahresrennen reich an Zwischenfällen und brachte einen würdigen Sieger hervor, auch wenn es an der Spitze wenig spannend war. Das diesjährige Rennen sollte ebenfalls einen Blick wert sein. Start ist in der Nacht auf Sonntag um 1 Uhr mitteleuropäischer Sommerzeit. Eurosport überträgt ab 00:52 Uhr live und zeigt vorher ab 00:20 Uhr eine Zusammenfassung der Qualifikation. Der britische Sender ITV4 startet um Mitternacht mit seiner Vorberichterstattung.

(Bilder: Formula E Media)

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