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NASCAR: Vom Heckflügel zum Spoiler – Ein Aerodynamikabriss

von KristianStooss
3 Kommentare

Der Heckflügel des CoT verschwindet zugunsten eines Spoilers, wie er von den alten Cup-Wagen bekannt ist. Die Rückkehr zum Spoiler hat scheinbar mehrere Gründe, die ich im Folgenden inkl. einiger Zitate und Links auflisten und kommentieren bzw. analysieren möchte.

Als man zwischen 2001 und 2006 das CoT entwickelte, war vor allem ein überholtes, verbessertes Sicherheitskonzept gefragt. Dazu wurde das Cockpit erhöht, was ein größeres Einstiegsfenster in das Fahrzeug möglich machte, jedoch auch zu steileren Frontscheiben führte. Die Erhöhung des Wagens brachte dann natürlich eine grundlegende Veränderung des Fahrzeugaussehens mit sich, was auch eine neue Lösung im Bereich der Aerodynamik erforderlich machte. NASCAR wollte den Autos etwas an Abtrieb bzw. „downforce“ nehmen, um die Piloten mit dem schwerer zu fahrenden Rennwagen wieder mehr zu fordern.

[1] The wing and the splitter could have better and more efficient designs to create more downforce but that is not what NASCAR wanted. Again, they wanted to reduce the amount of downforce while keeping the cars stable but also making them more difficult to drive.

Das gelang auch ganz gut, nur ging es auch ein wenig nach hinten los. Die Ingenieure standen plötzlich vor dem Problem, dass sie auf der Vorderachse durch den Splitter etwa 300 Pfund mehr an „downforce“ verloren hatten, als hinten durch den Heckflügel.

[2] Basically, the COT lost about 600 pounds of downforce in the front and about 300 pounds in the back of the car over the earlier model Cup car. So, it’s comparatively unbalanced downforce-wise when compared with the old design.

Dazu kurz erklärt das Prinzip von Splitter, Heckflügel und Spoiler:

Der Splitter ist im Prinzip ein Regalbrett, welches waagerecht unter der Frontschürze angebracht ist und durch Streben in Position gehalten wird. Er kann nach vorne und hinten geschoben werden, wodurch gemeinsam mit den „bump stops“ (Federwegbegrenzer) die Höhe des Splitters über der Rennstrecke eingestellt wird. Früher hatte man ja diesen „air-dam“, also die gerade Front die man bei den Nationwide-Autos noch beobachten kann. Wäre darunter ein Splitter angebracht, erhöhte sich der Abtrieb zusätzlich. Um das beim CoT zu verhindern, gibt es die Einbuchtung zwischen Stoßstange und Splitter, welche gegensätzlich wirkt und Auftrieb produziert.

[1] The splitter is more effective than the old air dam, but it could have been much more effective if the horizontal shelf had just been added to the bottom of the old air dam. NASCAR designed the splitter with a flat horizontal shelf that can be run right down on the track surface with the shock bump stops the teams use. But then they added a cavity above it that actually creates some positive lift, which offsets some of the downforce effectiveness of the splitter. That might seem counter productive […]

Soweit also zur Aerodynamik vorne, hinten hatte man die Wahl zwischen Flügel und Spoiler:

Der Heckflügel ist aerodynamisch besser als der Spoiler, weil er mehr „downforce“ erzeugt und dabei weniger Luftwiderstand bietet. Außerdem produziere der Spoiler laut nächster Quelle mehr „dirty air“, aber da sind die Aussagen im Vergleich mit anderen Artikeln und Ansichten von Fahrern und Experten unterschiedlich:

[1] […] the wing is far superior to the spoiler when it comes to aerodynamic performance. He said the spoiler is a somewhat crude device that is used to create increased downforce on the rear of a race car but it also creates additional drag and it produces a lot of dirty air behind the race car. The dirty air created by a leading car will cause the front end of a trailing car to wash out [push] because the disruptive air flow will cause a loss in aerodynamic downforce. The spoiler got its name because it „spoils“ the normal air flow over the deck lid and behind a race car.

Trotzdem hat man gerade beim Heckflügel das Problem bekommen, dass sich das Feld teilweise schnell auseinander zog und der Führende in der „clean air“ auf und davon in den Sonnenuntergang fuhr, während er seine Verfolger in der „dirty air“ zurückließ. Dabei muss man aber daran denken, dass das CoT generell weniger „downforce“ produziert als das alte Auto.

[1] But we have heard drivers complain about a loss of front end downforce with the new Sprint Cup car when they are following another car into the corner. That would seem to contradict the science until you realize the new car creates less downforce compared with the old car […]

Der Heckflügel durfte während seiner Anwendung von Frühjahr 2007 bis Frühjahr 2010 zwischen 0 und 16 Grad verstellt werden. Dazu hier ein Auszug aus dem NASCAR-Regelwerk:

[1] Unless otherwise specified, the rear wing angle may be adjusted within the limits of the NASCAR approved upper and lower mounting brackets. (zero (0) degrees to 16 degrees).

Da man aber vorne, wie oben angesprochen, soviel „downforce“ verloren hatte, war es unsinnig hinten den Flügel mit 16° in den Wind zu stellen. Die Wagen hatten wegen dieses Abtriebsunterschiedes deshalb anfangs die Tendenz, mit viel Untersteuern durch die Kurven zu fahren. Das Einlenken in die Turns stellte sich als Problem heraus, was nur durch eine Flügeleinstellung von 0° zu lösen war.

[2] […] drivers complain that the cars won’t turn. […] Since the rear wing is mostly exaggerating the problem, many teams have learned they need to adjust it to maximum angle of attack and in effect stall the wing so it produces less downforce. With the problems they have with less front grip, the last thing they need is a wing that can add rear grip.

Damit kam dann aber bereits das nächste Problem auf, namentlich „snap loose“. Der Wagen verhält sich oft ganz normal, nur um dann im Kurvenausgang von leichtem Untersteuern plötzlich in extremes Übersteuern zu wechseln. Einige Fahrer schienen davon wohl genervt zu sein, auf der anderen Seite hatte NASCAR damit aber erreicht was man wollte: Wie oben erwähnt, ein schwerer zu fahrendes Auto.

[2] One driver reported that each time he entered a certain turn, the car behaved differently. One time it pushed and then snapped loose on exit (the old tight/loose syndrome) and the next time it turned well and was loose all the way around the turn. It’s this uncertainty that unnerves many drivers.

Theoretisch konnten am CoT beide Konstruktionen von Anfang an zur Anwendung kommen. NASCAR hat sich dann aber für den Heckflügel entschieden, nachdem die Fahrer sich mehrheitlich dafür ausgesprochen hatten. Dabei gab es aber später auch noch einige Bedenken bezüglich des Ausblicks durch den Innenspiegel nach hinten, wo dann ausschließlich der Flügel in voller Schönheit zu bewundern war und nicht etwa das Auto des Verfolgers.

[3] We designed the car originally to go either way, so either the spoiler or the wing would bolt onto the exact same spot. We brought a couple cars to Daytona and tested both ways, and the drivers chose the wing. We said, ‚OK, let’s go with it, but always be able to go back if we need to, without having to redesign the car — it’s just a bolt-on piece either way.‘

Der Spoiler habe laut Kurt Busch die Eigenschaft, dass er ein größeres Loch in die Luft reiße als der Flügel, bei dem die Luft zwischen selbigem und Kofferraum entweichen kann. Das dürfte meiner Ansicht nach die gefühlt-größere „dirty air“ beim Flügel erklären. Außerdem solle dieses größere Luftloch letztendlich besseres und engeres Racing möglich machen.

[3] The air can escape underneath the wing whereas with a spoiler, it can’t. It creates a bigger hole, other cars can stay closer together [so] it creates tighter racing, bigger packs.

Sein ehemaliger Teamkollege Ryan Newman mit Ingenieurstitel im Fahrzeugbau spricht einige Absätze später aber an, dass er beim „side-by-side“-Racing Probleme sehe, da der Spoiler bei den Trucks beim Nebeneinanderfahren Übersteuern provoziere und somit eher kontraproduktiv sei.

[3] I think the side force — the biggest problem with the Truck Series in my opinion is when a truck gets inside another truck, it gets really loose — and I think that the wing made our side-by-side racing better.

Wie sich der Spoiler, der übrigens auf 70° fest montiert ist, nun auf das Fahrverhalten und die Rennaction auswirken wird, das sehen wir unter Rennbedingungen erstmals in Martinsville. Allerdings könne man die größten Auswirkungen wohl erst auf Aerodynamik-Strecken wie dem 1,5-Meilen-Oval in Texas so richtig bewerten, sagt zumindest Kasey Kahne:

[4] I think the wing has changed NASCAR racing a little bit, and the spoiler will change it again a little bit. That’s the way it’s going to be and we really won’t know how much until we get 43 cars on the track and we’re at Texas or something like that, or Phoenix maybe.

Als weiterer Grund für den Wechsel vom Flügel zum Spoiler wurde lange Zeit auch die Tatsache genannt, dass sich Autos in mehreren Fällen bei Hochgeschwindigkeitsdrehern in die Lüfte erhoben. Nach Ansicht eines Ford-Aerodynamikers hat das aber weniger mit dem Flügel zu tun als eher damit, dass sich im Falle einer Rückwärtsfahrt bei hoher Geschwindigkeit eine Menge Luft unter dem Heck des Fahrzeugs ansammelt.

[5] A Ford aerodynamic expert would later say at Bristol last weekend that the wing wasn’t a primary factor in the lift. Instead, he blamed it on air rushing under the rear of the car.

[6] The switch next week from wing to spoiler is likely to have no measurable effect on holding cars on the ground. Wind tunnel tests and study of videotapes of airborne crashes indicate that the major cause of cars taking flight is the rush of air underneath the car, not the rear-deck wing.

Die richtige Lösung würde also sein, einen Ausweg für diese Luft zu finden. Der Ford-Ingenieur Bernie Marcus hat als Ansatz über Schlitze nachgedacht, aus denen die Luft bei bei einem Dreher entweiche könnte, um das Auto am Boden zu halten. Auch eine dritte Dachklappe wurde bereits getestet, aber mangels Platz nicht weiter in Betracht gezogen.

[6] Among the solutions, according to long-time Ford Racing engineer Bernie Marcus, an aerodynamic specialist, might be slots in the rear area of the car so that, in an accident, air would have places to escape. […] „We’re looking at options to somehow get rid of the air that goes under the car.“ […] He said a third roof flap has been tested but that there isn’t enough room on the roof of the cars to make that possibility workable.

Wenn man sich die Interviews mit NASCAR-Offiziellen und Fahrern der letzten Tage und Wochen durchliest, dann bekommt man den Eindruck, dass der Wechsel von Flügel zu Spoiler aber vor allem wegen der Fans stattfindet. In vielen Texten (Da kann ich nun wirklich nicht alle aufführen, aber man liest es in der Tagesberichterstattung.) war die Rede davon, dass der Spoiler im Grunde nichts ändere, aber den optischen Genuss der „die hard“-Fans wohl weniger trübe. In den Monaten und Jahren davor wurde weit mehr über die technischen und aerodynamischen Gründe spekuliert und diskutiert. Die Zeiten bei den Tests in Charlotte spiegeln aber genau den Konsens der jüngeren Vergangenheit wieder. Die schnellste Zeit bei den Tests fuhr Jeff Burton mit 28,539s (189.215mph). Verglichen mit den Pole-Zeiten des letzten Jahres von Ryan Newman mit 28,651s (188.475mph) und Jimmie Johnson mit 28,070s (192.376mph) sagt uns das: Es wird sich nichts ändern… oder doch?

Ich kann nur empfehlen, die Quellen noch einmal separat zu lesen. Besonders [1] ist sehr informativ und behandelt auch das Thema „yawing“ kurz. Dort wird erklärt, warum die Wagen auf der Geraden oft seitwärts fahren und wie das technisch zu realisieren ist.

Quellen:

[1] „Cup car’s wing has a downforce to be reckoned with“ auf espn.com

[2] „NASCAR CoT technical analysis“ auf circletrack.com

[3] „Wing to spoiler transition anticipated without dread“ auf nascar.com

[4] „Drivers ready to wave bye-bye to wings on Cup cars“ auf nascar.com

[5] „Reflecting on the era of the NASCAR rear wing“ auf fanhouse.com

[6] „Bigger car changes might be coming“ auf speedtv.com

Hier geht es zur Vorschau auf das Rennen in Martinsville.

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3 Kommentare

NASCAR: Vorschau Martinsville März 2010 26 März, 2010 - 12:27

[…] die eindeutig kürzer ist als gewohnt. Dafür gibt es in dieser Woche einen separaten Artikel zum Wechsel Heckflügel-Spoiler, der mehr Zeit verschlungen hat als angenommen. Viel Spaß beim […]

Tommy 26 März, 2010 - 12:48

Vielen Dank für die informative Zusammenfassung und den vielen Links zum Thema. Ich persönlich glaube nicht, dass sich (für den Zuschauer) merklich etwas ändern wird.

Aber in Zeiten der Krise kann man das ganze auch als Wirtschaftförderungsprogramm sehen. Alle DieCast-Modelle & Co bzw. Merchandising-Artikel aus dem Jahr 2010 sind quasi mit einem Schlag veraltet. Der geneigte Hardcore-Fan wird sich es wohl nicht nehmen lassen, auch den Wechsel zum Spoiler mitzunehmen. :-)

Neuer Mondeo im Nascar-Outfit : Ford News 30 Januar, 2012 - 07:51

[…] Hier hat sich jemand viel Mühe mit dem Thema gegeben (in deutsch) […]

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